Rede zur Stärkung der Tarifautonomie

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist wirtschaftlich und sozial erfolgreich. Diesen Weg des Erfolgs wollen wir fortsetzen. Unser Erfolgsrezept lautet dabei soziale Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft ist immer eine Wettbewerbsordnung, die den sozialen Ausgleich aber niemals beiseitelässt. Keiner darf verloren gehen; das ist unser Anspruch. Natürlich umfasst soziale Marktwirtschaft auch Wettbewerb: Wettbewerb um innovative Ideen, um beste Produkte, um den Vorsprung an Wissen und Können. All das zeichnet unser Land aus. Das wollen wir auch unterstützen, beispielsweise in den Bereichen Forschung und Wissenschaft, Infrastruktur und duale Ausbildung. In diesen Bereichen wird Zukunft gewonnen. Deshalb geben wir hier auch in Zukunft mehr Geld aus.

Soziale Marktwirtschaft beinhaltet nach unserem Verständnis aber nicht Dumpinglöhne und Wettbewerb um die niedrigsten Löhne und die schlechteste Bezahlung. Wir wissen: Gute Arbeit muss sich lohnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wo Vollzeit gearbeitet wird, da sollen die Menschen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch angemessen bezahlt werden. Leistung muss fair bezahlt werden.

Dies zu gewährleisten, ist in erster Linie Aufgabe unserer Sozialpartner, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in unserem Land, und nicht des Staates – nicht in erster Linie. Die Sozialpartnerschaft hat über Jahrzehnte hinweg für Wohlstand und sozialen Frieden gesorgt. Gute Tarifverträge sind die Garantie dafür, dass Leistung fair bezahlt wird. Davon profitieren im Übrigen auch die untersten Lohngruppen. Wir haben in großzügiger Art und Weise die branchenbezogenen Mindestlöhne ausgeweitet. 4 Millionen Menschen profitieren derzeit davon, doppelt so viele wie 2009. Wenn man sich die tariflichen Mindestlöhne ansieht, dann stellt man fest, dass diese zu fast 90 Prozent über 8,50 Euro liegen. Das ist der Erfolg von tariflichen Mindestlöhnen. 79 Prozent liegen im Übrigen bei 10 Euro und mehr. Deswegen wollen wir die Tarifbindung in diesem Land stärken und hier auch unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Soziale Marktwirtschaft funktioniert aber nur dann, wenn wir starke Sozialpartner haben. Deswegen müssen wir das Interesse an der Sozialpartnerschaft hochhalten, zum einen auf der Arbeitnehmerseite, indem wir sagen: „Geht in die Gewerkschaften, kämpft für eure Interessen“, zum anderen auf der Seite der Unternehmen, damit diese sagen: „Ja, ich möchte Mitglied in einem Arbeitgeberverband werden und damit auch Einfluss auf die Tarifgestaltung in diesem Land nehmen.“

Tatsache ist aber auch: Die Tarifbindung hat sowohl in Ostdeutschland als auch in Westdeutschland abgenommen, in den letzten 16 Jahren um rund 20 Prozent. Die Anzahl der Betriebe mit Branchentarifbindung liegt im Westen derzeit bei 53 Prozent, im Osten bei 36 Prozent. Das ist eine Entwicklung, die wir stoppen wollen. Deswegen werden wir dafür sorgen, dass wir das Netz an Tarifverträgen weiter ausbauen, indem wir die Allgemeinverbindlichkeitserklärung stärken und auch den Zugang zu den Möglichkeiten, die das Arbeitnehmer-Entsendegesetz bietet, entsprechend erleichtern.

Aber dort, wo die Lohnfindung auf tarifvertraglicher Ebene nicht funktioniert, weil die Tarifbindung nicht -gegeben ist oder weil sich die Arbeitnehmer in diesem Bereich unzureichend organisieren, da bedarf es einer Lohnuntergrenze. Deswegen kommt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro zum 1. Januar 2015.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir sagen auch: Einmal werden wir den gesetzlichen Mindestlohn hier im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens festlegen, aber in Zukunft werden bezüglich der Entwicklung des Mindestlohns die Tarifvertragsparteien eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind es, die in der Mindestlohnkommission Verantwortung dafür zu tragen haben, wie sich die Entwicklung des Mindestlohns in Zukunft gestaltet. Da hat Automatismus keinen Platz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Platz hat hier nur eine Gesamtabwägung; denn es ist erforderlich, dass gut begründet wird, wie denn die Auswirkungen von Mindestlohnregelungen auf Beschäf-tigung, auf Branchen, auf Regionen sind. Diese Auswirkungen sollen dezidiert und genau begutachtet werden. Dann soll im Rahmen einer Gesamtabwägung entschieden werden, welche Höhe des Mindestlohns in Zukunft angemessen ist.

Wir haben – das müssen wir konstatieren – derzeit keine Erfahrung mit gesetzlichen Mindestlöhnen. Wir haben Erfahrung mit Branchenlöhnen. Hier haben wir derzeit keine feststellbar negativen Beschäftigungseffekte. Aber wir steigen sehr hoch ein – international gesehen –, und wir gehen auch nicht so vorsichtig vor, wie dies beispielsweise andere Länder gemacht haben. Deswegen müssen wir darauf achten, dass der Schuss für Einzelne nicht nach hinten losgeht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen darauf achten, dass wir nicht in großem Ausmaß negative Beschäftigungseffekte kreieren. Deswegen war uns von Anfang an wichtig: Wenn wir jetzt den Mindestlohn einführen, dann müssen wir das Gesetz auch entsprechend evaluieren, damit wir tatsächlich die Kontrolle haben, wie sich das auf die Lebenswirklichkeit auswirkt.

Deswegen haben wir uns auch für Ausnahmen eingesetzt. Ausnahmen gebieten die Vernunft und die Verantwortung beispielsweise auch gegenüber denjenigen, die schwächer aufgestellt sind, die gering qualifiziert sind oder langzeitarbeitslos sind. Das hat, Frau Pothmer, nichts mit Stigmatisierung zu tun,

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)

sondern es hat ausnahmslos damit zu tun, dass wir hier die Chancen auf den Einstieg in das Arbeitsleben beispielsweise für diejenigen, die langzeitarbeitslos sind, die gering qualifiziert sind, hochhalten müssen und keine neuen, keine zusätzlichen Hürden aufbauen dürfen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lohnkostenzuschüsse!)

Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass Langzeit-arbeitslose in den ersten sechs Monaten von dem Mindestlohn ausgenommen werden. Ich glaube, das erhöht die Chancen für Langzeitarbeitslose, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut! Genau so ist es!)

Wir haben sichergestellt, dass Auszubildende, die beispielsweise eine duale Ausbildung machen, vom Mindestlohn ausgenommen werden.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unstrittig!)

Denn wir wollen die duale Ausbildung hochhalten; sie ist ein Erfolgsgarant für unsere hohe Beschäftigung in Deutschland. Deswegen ist es richtig, dass wir auch hier eine Ausnahme machen.

Es ist genauso richtig, dass wir eine Altersgrenze einführen. Beides hat miteinander zu tun. Wenn ich einen gesetzlichen Mindestlohn für einen Ungelernten einführe, dann wird es attraktiver sein, nicht in eine Ausbildung zu gehen. Deswegen ist die Altersgrenze von 18 Jahren bereits ein Erfolg, und wir müssen dann im Rahmen der Evaluation des Gesetzes sehen, wie hier die Wirkungen sind.

Im Übrigen haben wir auch klargestellt, dass Ehrenamtlichkeit nichts mit Mindestlohn zu tun hat. Auch das gehört in eine Gesamtordnung mit hinein.

Wir wissen auch, dass manche Branchen einen besonderen Anpassungsbedarf haben werden. In der Koalitionsvereinbarung wird bereits die Landwirtschaft genannt. Wir haben diesbezüglich zwei Regelungen vorgesehen: zum einen, dass wir Ausnahmen für Tarifverträge bis Ende 2016 machen, und zum anderen hat die Ministerin in ihrem Zuleitungsschreiben an dieses Hohe Haus auch deutlich gemacht, dass sie in bestimmten Branchen keine Verwerfungen will, insbesondere was die Saisonarbeit angeht. Die Ministerin hat versprochen, zu liefern. Wir sehen dem, was sie hier auf den Weg bringt, mit großer Sympathie entgegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beraten heute in erster Lesung das Mindestlohngesetz, das auch eine Veränderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und der Allgemeinverbindlichkeitserklärung mit sich bringt. Es handelt sich insgesamt um ein Tarifpaket, das die Tarifautonomie stärkt. Ich wünsche uns in der nächsten Zeit gute Beratungen und hoffe, dass letztlich ein Paket herauskommt, von dem wir tatsächlich in Gänze sagen können: Das bringt Deutschland weiter voran.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])

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