Rede zum Europäischen Hilfsfonds

ZP.7) Beratung BeschlEmpf u Ber (11.A)

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen
KOM(2012) 617 end.; Ratsdok. 15865/12
hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung)

- Drs 17/11617 Nr. A.9, 17/11882 -

Im Rahmen der Europa-2020-Stratgie hat sich die Europäische Union das Ziel gesetzt, die Anzahl der in Armut lebenden oder von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen bis 2020 um mindestens 20 Millionen zu senken. Deutschland erfüllt seine nationalen und europäischen Verpflichtungen und setzt die EU-2020-Kernziele um. Wir leisten einen außerordentlichen Beitrag für mehr Stabilität, Wachstum und Beschäftigung in Europa. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise halte ich es für legitim, dass auf europäischer Ebene Überlegungen angestellt werden, wie Armut und soziale Ausgrenzung nachhaltig bekämpft werden können.

Mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen“ wird diesem Ansinnen aber nicht Rechnung getragen. Bei dem Vorschlag geht es im Kern um die Weiterführung des bisherigen EU-Nahrungsmittelprogramms „Abgabe von Nahrungsmitteln aus Interventionsbeständen an Bedürftige in der Gemeinschaft“. Das Programm wurde 1987 von der Europäischen Gemeinschaft ins Leben gerufen und wird Ende 2013 auslaufen. Deutschland hat seit 1989 keinen Gebrauch mehr von dem Programm gemacht.

Aus meiner Sicht bestehen erhebliche Subsidiaritätsbedenken gegen den Vorschlag der Europäischen Kommission. Die Gewährung von sozialen Hilfen ist grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten und kann von den Mitgliedstaaten effektiver und erfolgreicher betrieben werden. Nur der einzelne Mitgliedstaat kann am jeweils eigenen System ansetzen und Maßnahmen einführen, die individuell passend sind. Eine EU-Bedürftigenhilfe ist systemfremd, verwaltungsaufwendig und kontrollintensiv.

Die Aussage der Kommission, dass angesichts des Ausmaßes der Armut und sozialen Ausgrenzung in der Union und der inakzeptablen Unterschiede Maßnahmen auf EU-Ebene notwendig seien, trägt mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip nicht. Ungleiche Verhältnisse allein führen nicht zu einem europäischen Mehrwert. Auch die Tatsache, dass der Hilfsfonds von der EU finanziert werden soll und von den Mitgliedstaaten nur zu einem geringen Anteil kofinanziert werden muss, ändert an dieser Einschätzung nichts. Denn Finanzmittel erzeugen nicht schon aufgrund der Tatsache, dass sie aus dem EU-Haushalt stammen, einen europäischen Mehrwert.

Zudem habe ich erhebliche Zweifel an der Rechtsgrundlage für den Vorschlag der Europäischen Kommission. Der Hilfsfonds ist zur Armutsbekämpfung weder geeignet noch erforderlich im Sinn von Art. 175 Abs. 3 AEUV, weil er ausschließlich punktuelle materielle Hilfe in Form von Nahrungsmitteln oder grundlegenden Konsumgütern leisten soll. Um Menschen tatsächlich aus der Armut zu befreien, sind jedoch nachhaltige Maßnahmen erforderlich, wie sie insbesondere über den Europäischen Sozialfonds erfolgen.

Vor diesem Hintergrund lehne ich den Vorstoß der Europäischen Kommission ab. Auch die Bundesregierung steht dem Vorschlag ablehnend gegenüber. Der Bundesrat wird in seiner morgigen Sitzung ebenfalls eine kritische Stellungnahme abgeben. Ich hoffe, dass die für eine Subsidiaritätsrüge erforderliche Stimmenzahl der nationalen Parlamente zusammenkommt. Der Deutsche Bundestag leistet heute mit seiner Stellungnahme vom 11. Dezember 2012 seinen Beitrag dazu.

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