16.04.2021
Stephan Stracke: "Wir müssen die Infektionsketten unterbrechen"
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Viertes Bevölkerungsschutzgesetz

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die dritte Welle der Coronapandemie rollt über das Land, die Infektionszahlen sind auf einem Niveau wie zu Jahresbeginn. Dasselbe Bild bei den belegten Intensivbetten: Circa 4 700 Patienten sind in intensivmedizinischer Behandlung. Vor einem Monat war es knapp die Hälfte. Und die Hilferufe der Intensivmediziner sind nicht zu überhören: Sie raten uns zu starken Maßnahmen. Sie raten uns, mehr Maßnahmen zu ergreifen. Denn die Dynamik ist ungebrochen. Insbesondere die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich zum Teil dramatisch zu. Wir sind nicht bereit, die Warnungen der Mediziner zu ignorieren. Die Mediziner und Pflegekräfte sind es, die im Notfall helfen und Leben retten.

Wenn wir vom Gesundheitssystem reden, das wir sichern und schützen wollen, dann meinen wir sicherlich auch die Betten, wir meinen die Geräte, aber im besonderen Maße meinen wir das Personal, die Mediziner und Pflegekräfte; denn sie sind das höchste Gut, das wir haben. Sie sind Gesicht, Hand und Herz dieses Gesundheitssystems. Deswegen müssen wir sie schützen. Und genau das tun wir jetzt mit diesem Gesetz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen handeln, und zwar so: Wir müssen die Kontakte reduzieren. Wir müssen die Infektionsketten unterbrechen. Gleichzeitig verimpfen wir, was geht. Aus der Impfdose kommt die Befreiung aus dieser Pandemie heraus. Impfen ist der Weg. Und genau das tun wir, auch mit wachsendem Erfolg in diesen Bereichen.

Jetzt sind drei Bereiche zentral. Das sind das private Umfeld, das Arbeitsleben und natürlich Schule und Kita. Diese drei Bereiche spielen eine zentrale Rolle beim Infektionsgeschehen.

Wir müssen Kontakte spürbar reduzieren, gerade im privaten Bereich. Dazu nutzt auch die Ausgangssperre. Sie ist ein wichtiges Instrument für die Beschränkung von Sozialkontakten; das bestätigen im Übrigen eine Vielzahl von Studien, auch internationaler Art. Deswegen gehen wir diesen Weg. Die Ausgangsbeschränkungen sind richtig.

Für das Arbeitsleben haben wir mit der Arbeitsstättenverordnung den Rahmen bereits gesetzt: Homeoffice überall dort, wo möglich, und da, wo Präsenz zwingend notwendig ist, gilt Abstand, da gilt Maske und jetzt auch entsprechend das verpflichtende Testangebot durch die Arbeitgeber. Denn wir wollen Infektionen möglichst schnell erkennen und Infektionsketten unterbrechen.

Auch die Schulen sind Teil des Infektionsgeschehens.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Kollege Stracke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Lötzsch?

 

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Ja, selbstverständlich.

 

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich habe mich an der Stelle gemeldet, als Sie auf das Arbeitsleben zu sprechen kamen.

Wir haben ja hier häufig die Diskussion über systemrelevant und nicht systemrelevant. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass wir Überlegungen entwickeln sollten – und nicht nur Überlegungen entwickeln, sondern auch Beschlüsse fassen sollten –, nicht systemrelevante Produktionen für eine bestimmte Zeit stillzulegen? Und wenn Sie da mit mir einer Meinung sind: Können Sie mir sagen, was Sie unter „nicht systemrelevant“ verstehen würden?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

 

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Meine sehr verehrte Frau Kollegin, wir müssen auch in dieser Pandemie darauf achten, dass wir da, wo es geht, das Wirtschaften auch ermöglichen. Das hängt auch damit zusammen, dass wir Arbeitsplätze sichern wollen. Deswegen reden wir nicht über das Stilllegen von entsprechenden Wirtschaftszweigen – ganz im Gegenteil. Wir reden vielmehr darüber, Arbeitsplätze zu sichern. Da kommen wir auch mit unseren Coronahilfen zum Zuge; und so handeln wir in diesem Bereich.

Gleichzeitig achten wir im Rahmen der Arbeitsstättenverordnung darauf, dass das Infektionsgeschehen, gerade auch im Betrieb, beherrschbar bleibt. Ich erfahre gerade aus den Unternehmen heraus eine sehr hohe Eigenmotivation. Denn die wenigsten wollen doch Infektionen im Betrieb haben, weil sich das letztendlich auf den Betriebsablauf und den Erfolg auswirkt. Das ist der Weg, den wir in diesem Bereich gehen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Die Schulen sind Teil des Infektionsgeschehens. Wir wollen Schule. Aber auch in der Schule braucht es klare Schutzkonzepte. Deshalb setzen wir beim Präsenzunterricht auf die Testpflicht – zweimal in der Woche. Und wird der Schwellenwert von 200 bei der Sieben-Tage-Inzidenz überschritten, wird, so sieht es der Gesetzentwurf vor, der Präsenzunterricht an den Schulen eingestellt.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Warum nicht auch in den Betrieben?)

Angesichts dieses dynamischen Infektionsgeschehens, das wir derzeit verzeichnen, ist die Schwelle von 200 viel zu hoch. Wir müssen runter Richtung 100.

(Beifall der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE])

Das halte ich in diesem Bereich für richtig.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Stracke, der Kollege Kleinwächter würde noch gern eine Zwischenfrage stellen.

 

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Ja.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kleinwächter.

(Zurufe von der LINKEN: Och nee! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wäre wirklich nicht nötig! Alles Lebenszeit!)

 

Norbert Kleinwächter (AfD):

Werter Herr Kollege Stracke, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Und ich stelle sie an Sie, weil Sie ja Jurist sind.

Sie haben gerade ausgeführt, dass Sie das Infektionsgeschehen eindämmen wollen und ähnliche Dinge. Das glaube ich Ihnen sogar. Ich gehe davon aus, dass Ihnen das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Menschen durchaus am Herzen liegen.

(Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Aber ich habe eine Frage an Sie: Warum fügen Sie dann in das Gesetz, das sich heute in der ersten Lesung befindet und nächste Woche in der zweiten und dritten Lesung verabschiedet werden soll, ein, dass die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes, neben weiteren Grundrechten eingeschränkt und auch durch Rechtsverordnungen nach Absatz 6 des Gesetzes – das ist das, was dann unserer Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel zugutekommen soll – weiter eingeschränkt werden sollen?

Also was ist der Sinn, dass Sie explizit festlegen, dass das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt wird, wenn Sie eigentlich – das kann ja die einzige grundrechtliche Begründung überhaupt für Ihre ganzen Infektionsschutzmaßnahmen sein – das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit irgendwie verstärken wollen? Können Sie mir das bitte juristisch mal aufdröseln, warum Sie ausgerechnet die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit einschränken wollen? Das ist ein Abwehrrecht der Menschen gegenüber dem Staat, dass ihnen nichts getan werden kann. Warum soll das hier und heute eingeschränkt werden?

 

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Werter Herr Kleinwächter, mit diesem Gesetzentwurf wollen wir Kontakte reduzieren, und das geht natürlich nur durch gewisse Schutzmaßnahmen, die wir ergreifen und im Rahmen dieses Gesetzentwurfs auch formuliert haben. Natürlich gehört es dazu, dass wir im Rahmen des Zitiergebotes auch die Dinge aufgreifen, bei denen unter Umständen eingegriffen wird.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Zum Beispiel im Rahmen der Tests!)

Das ist ganz normal in diesen Bereichen.

Und wir haben die Idee, mithilfe der Rechtsverordnung, die wir erlassen wollen, zu beobachten: Wie wirkt sich denn beispielsweise das Impfgeschehen, wie wirken sich Testungen aus? Und: Müssen wir vor diesem Hintergrund das geltende, jetzt zu verabschiedende Recht unter Umständen entsprechend anpassen? Das geht nur gemeinsam im Deutschen Bundestag, das geht nur gemeinsam mit dem Bundesrat, ist also nichts, was in dieser Zeit irgendwie gefährdend für die Menschen ist. Das ist nicht das Ziel. Ganz im Gegenteil: Wir wollen schützen, wir wollen das Leben schützen, wir wollen in dem Bereich retten. Das ist das Ziel, hinter dem wir uns gemeinsam versammeln. Es wäre schön, wenn Sie als AfD da auch mal mitmachen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber das tun Sie nicht, weil Ihnen die Menschen egal sind, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gottfried Curio [AfD]: Es wäre schön, wenn Sie die Frage beantworten würden! – Weiterer Zuruf des Abg. Stefan Keuter [AfD])

Mit diesem Gesetz gelten für alle Städte und Landkreise, die eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 aufweisen, gleiche Regeln. Bei einer Inzidenz unter 100 bleiben die Länder zuständig und verantwortlich.

Wir haben erneut eine schwere Zeit vor uns. Genau für diese Zeit gilt das nun vorliegende Gesetz, und danach kommen die notwendigen Schritte. Ich bitte Sie: Begleiten Sie dieses Gesetzesvorhaben konstruktiv. Es ist zentral für unsere Gemeinschaft.

Herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gottfried Curio [AfD]: Warum wohl haben Sie die Frage nicht beantwortet, warum das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt werden soll? Woran liegt das wohl? – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Stellen Sie sich doch selber nicht so blöd an! So unwissend sind Sie gar nicht, wie Sie tun!)