26.03.2021
Stephan Stracke: "Wir brauchen einen stärkeren Bewusstseinswandel in den Betrieben"
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Teilhabestärkungsgesetz

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleiche Chancen und gleiche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen der Gesellschaft ist eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Wir sind mit dem Bundesteilhabegesetz bereits einen großen Schritt gegangen: mehr individuelle Selbstbestimmung, mehr Hilfen aus einer Hand, stärkere individuelle Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben. Mit dem Teilhabestärkungsgesetz knüpfen wir daran an und wollen den nächsten Schritt in Richtung einer inklusiven Gesellschaft beschreiten.

Ja, das Ziel haben wir sicherlich noch lange nicht erreicht; aber die Strecke, die wir auf dem Weg dorthin zurückgelegt haben, finde ich doch beachtlich, denn es ist ermutigend, dass mehr Menschen mit Behinderungen einen Job haben; es ist ermutigend, dass die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen bis zum Beginn der Coronapandemie gesunken ist, und es ist auch ermutigend, dass beispielsweise Barrieren in Bus und Bahn deutlich geringer geworden sind. Das ist auch das zentrale Ergebnis des Dritten Teilhabeberichtes über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen, den das Bundeskabinett vor drei Wochen beschlossen hat. Also hat sich in den letzten Jahren vieles positiv bewegt – natürlich liegt noch viel Wegstrecke vor uns –; daran knüpfen wir jetzt mit dem Teilhabestärkungsgesetz an.

Ein wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht die gesetzliche Neudefinition des leistungsberechtigten Personenkreises. Wir haben ja alle noch die Diskussion beim Teilhabestärkungsgesetz in den Knochen. Da wurde zu Recht deutlich gemacht, dass es erhebliche Zugangseinschränkungen gegeben hätte, wenn das, was das Bundesarbeitsministerium damals vorgelegt hat, Realität geworden wäre. Deswegen haben wir das gemeinsam, Union und SPD, vom Tisch genommen. Das, was jetzt vorliegt, sorgt tatsächlich für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden. Die notwendigen Detailregelungen zur Konkretisierung der Leistungsberechtigung werden jetzt zusammen mit den Ländern getroffen und werden auch vorab evaluiert. Ich finde, das ist ein wesentlicher Fortschritt hin zum Konsens, zum Miteinander und nicht zur Konfrontation, die entstanden wäre, wenn das, was das Bundesarbeitsministerium ursprünglich einmal vorhatte, Realität geworden wäre.

Mit dem Budget für Arbeit und dem Budget für Ausbildung haben wir bereits die Chancen für Menschen mit Behinderungen ausgebaut, um ihnen den Start im bzw. den Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Das Budget für Ausbildung wird noch wenig genutzt. Das wollen wir ändern. Wir bauen es jetzt für diejenigen aus, die im Arbeitsbereich einer Werkstätte sind. Das ist sicherlich gut.

Wir brauchen auch noch einen stärkeren Bewusstseinswandel in den Betrieben. Es gibt hier immer noch Bedenken und Unsicherheiten gegenüber Menschen mit Behinderungen. Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen geht nur zusammen mit den Betrieben, nicht gegen sie. Deshalb wollen wir die bestehenden Beratungs- und Unterstützungsangebote verbessern. Wir stellen uns hier einheitliche Ansprechstellen vor, die aktiv auf die Arbeitgeber zugehen, die Lotsen durch die Bürokratie sind, durch den Wust an Antragsformularen, den es da oftmals gibt. Hierzu sind wir, glaube ich, innerhalb der Koalition in guten Gesprächen, um uns das vielleicht auch gemeinsam vornehmen zu können.

Wir wollen zudem die Betreuungssituation in den Jobcentern verbessern, um zukünftig allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die gleichen Fördermöglichkeiten zukommen zu lassen.

Auch der digitale Fortschritt soll natürlich möglichst allen zugutekommen. Wir schaffen Anreize, die Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen auszubauen. Die Potenziale des digitalen Fortschritts sollen auch Menschen mit Behinderungen im Bereich der medizinischen Rehabilitation und im Rahmen der Hilfe zur Pflege zugänglich gemacht werden. Der digitale Fortschritt muss für alle nutzbar sein. Dafür sorgen wir entsprechend vor.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Assistenzhunde sind für viele Menschen mit Behinderungen ein notwendiger Begleiter im Alltag. Sie helfen dabei, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wir stärken das Recht der Betroffenen auf Begleitung durch einen Assistenzhund. Das ist richtig und auch ein wichtiges Thema in diesen Bereichen.

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler:

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der Kollegin Rüffer?

 

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Ja. – Herzlich gerne, Frau Kollegin.

 

Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Weil ich Sie entsprechend einschätze, würde ich Ihnen gerne eine Frage stellen, die mir sehr am Herzen liegt. Wir haben gerade in der Rede der Kollegin Glöckner gehört, dass die SPD ein echtes Interesse daran hat, die Assistenz im Krankenhaus endlich so gesetzlich zu regeln, dass diejenigen, die diese Unterstützung brauchen, um im Krankenhaus behandelt werden zu können, sie auch bekommen. Das ist eine ganz existenzielle Frage. Sie ist im Zweifelsfall wirklich überlebenswichtig – gerade in der Pandemie, aber nicht nur in der Pandemie. Sie wissen, wie die Zugänge im medizinischen System sind: Sie sind nicht barrierefrei, im Gegenteil. Menschen werden abgewiesen, es wird zur Voraussetzung gemacht, dass sie die Assistenz mitbringen. Diese Leute brauchen die Assistenz auch, um das Vertrauen zu haben, dass sie gut behandelt werden, und um verstehen zu können, wie sie behandelt werden.

Jetzt frage ich Sie: Dürfen wir, die wir mindestens ein Jahrzehnt an dieser Frage herumdoktern, Hoffnung haben, dass in den nächsten Monaten endlich eine Lösung für dieses Winzproblem gefunden wird und die Menschen diese wichtige Sicherheit bekommen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Frau Kollegin, das, was Sie hier ansprechen, ist in der Tat ein ganz wichtiges Thema. Das ist kein Thema der SPD, das ist ein Thema der gesamten Regierung und der gesamten Koalition. Wir gehen das gemeinsam an. Derzeit finden dazu Gespräche auf Ebene der Regierung statt. Ich glaube, diese Gespräche verlaufen konstruktiv. Auch ich erhoffe mir, dass jetzt Ergebnisse in dem Bereich vorgelegt werden. Auch wir als Union wollen eine Lösung in diesem Bereich, weil wir die Thematik sehen, dass Menschen mit Behinderungen auf Hilfen angewiesen sind. Deswegen streben wir hier eine Lösung an. Das ist ein gemeinsames Thema der gesamten Koalition

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sören Pellmann [DIE LINKE]: Wir werden Sie daran erinnern!)

und nicht nur der SPD, wie das hier vorhin dargestellt wurde. – Deswegen danke ich Ihnen ganz herzlich für die Gelegenheit zur Klarstellung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das jetzige Gesetzesvorhaben legt viele Regelungen auf den Tisch. Ich glaube, das sind gute Regelungen, die wir uns jetzt vorgenommen haben. Ich freue mich auf weitere konstruktive Vorschläge aus dem parlamentarischen Raum im Rahmen der Beratungen.

In diesem Sinne ein herzliches Dankeschön! Ich glaube, wir haben hier einen guten Aufschlag vor uns.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD])