10.09.2020
Dr. Heribert Hirte: Wir setzen die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung weiter aus
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Redebeitrag zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes

Vielen Dank für die Erklärung der Bescheidenheit. – Guten Abend, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute – das geht Schlag auf Schlag – zum zweiten Mal über Insolvenzrecht. Gestern Abend haben wir über den Gesetzentwurf zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens geredet; da ging es um Privatinsolvenzen. Heute geht es um Unternehmensinsolvenzen. Beides sind wichtige Themen, gerade nach und in der Coronakrise.

Unternehmensinsolvenzen sind ein Thema, das die mir bekannten Unternehmen auch in Köln sehr umtreibt, weil sie immer wieder, wenn sie in der Krise vor der Frage stehen: „Muss ich einen Insolvenzantrag stellen?“, nicht wissen, wie sie weiter vorgehen sollen: Antrag stellen, keinen Antrag stellen, öffentliche Mittel beantragen. Deshalb ist es ein ganz wichtiger Punkt, dass wir hier – wir haben es gerade gehört – im März, als sich die Coronakrise abzeichnete, Klarheit geschaffen haben.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es geht doch!)

Diese Klarheit hat den Unternehmen durch die Krise geholfen. Wir haben die Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung suspendiert.

Was machen wir jetzt? Wir sehen, dass die Krise einem Ende entgegengeht, dass sich die Lage stabilisiert. Und wir schlagen Ihnen hier eine differenzierte Lösung vor: Wir wiederbeleben auf der einen Seite die Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit – das sind die Unternehmen, die wirklich kein Geld mehr haben –, weil die betroffenen Unternehmen sonst ihren Gläubigern vorspiegeln könnten, sie wären noch zahlungsfähig. Das ist ein wichtiges Signal, weil sich sonst eine Blase von Unternehmen bilden könnte, die nicht zahlen können, wodurch letztlich die Wirtschaft insgesamt in einen Abwärtsstrudel gezogen werden könnte.

Auf der anderen Seite – Herr Jacobi hat es angesprochen – setzen wir die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung weiter aus. Und das tun wir – das ist die Begründung, die Ihnen fehlt – auch deshalb, weil wir uns im Koalitionsvertrag die Frage gestellt haben, ob dieser Insolvenzantragsgrund überhaupt gerechtfertigt ist. Denn wir wissen seit Jahren, dass es viele, viele rechnerisch überschuldete Unternehmen gibt, die zwar wahrscheinlich auch insolvenzrechtlich überschuldet sind, aber keinen Antrag stellen oder bei denen anschließend, im Verfahren der Insolvenzeröffnung, herauskommt, dass sie schon überschuldet waren.

Das heißt nichts anderes, als dass dieser Antragsgrund nicht wirklich funktioniert. Theoretisch mag er funktionieren. Er funktioniert für all die Berater, die dann große Gutachten schreiben müssen, aber für die Praxis der kleinen und mittelständischen Unternehmen funktioniert er nicht. Deshalb – das kann ich aus voller Überzeugung sagen – ist dies ein erster Schritt in eine vollständige Abschaffung dieses Insolvenzantragsgrundes, über die wir demnächst – und damit komme ich zur Zukunft – noch weiter zu beraten haben.

Demnächst – auch das ist die Zukunft; nichts anderes ist gestern Abend schon angesprochen worden – haben wir die Restrukturierungsrichtlinie der Europäischen Union umzusetzen. Einen Teil haben wir gestern schon in unsere Arbeit übernommen, was die Privatinsolvenzen angeht, und der präventive Restrukturierungsrahmen – ein präventives Instrument zur Insolvenzvermeidung – wird als großer Block in den nächsten Monaten kommen. Ich habe gerade aus dem Justizministerium gehört, dass die Vorbereitung sehr weit fortgeschritten ist. Wir werden das bekommen, was eigentlich wichtig ist, nämlich die Möglichkeit, Unternehmen, die in der Krise sind, wieder auf die Füße zu stellen. Das ist das, was wir eigentlich wollen. Daran können wir dann arbeiten und haben eine Möglichkeit, aus der Krisenzeit herauszugehen, mit präventiven Sanierungsinstrumenten, die wir in den nächsten Wochen auch hier werden beraten können. – Insofern ist dies ein wichtiger Zwischenschritt. Ich hätte mir bei dieser Gelegenheit auch die eine oder andere Reform des normalen Insolvenzrechts gewünscht. Darüber werden wir vielleicht doch noch einen Moment nachzudenken haben.

Vielleicht ein technischer Hinweis, weil das aus der Praxis an uns herangetragen wurde: Wir haben in dieser etwas komplexen Norm auch eine Privilegierung von KfW-Darlehen. Bei diesen KfW-Darlehen ändert sich nichts an der Privilegierung. Der zeitliche Anwendungsbereich für diese Privilegierung bleibt bestehen. Wir ändern das Recht für die Zukunft.

Ein letzter Punkt. Mit demselben Gesetzespaket, das auch das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz beinhaltet – es war das erste Gesetzespaket, das wir im Zivilrecht als Antwort auf die Coronakrise beschlossen haben –, haben wir auch über die virtuellen Hauptversammlungen beschlossen, über die Antwort im Gesellschaftsrecht auf das Insolvenzrecht. Wir wissen, dass das Justizministerium im Moment darüber nachdenkt, auch da die entsprechenden Normen zu verlängern – ein ähnlicher Problemkreis, wie wir es eben in der Debatte zum Wahlrecht schon gehört haben. Ich will nur eines sagen: Da gibt es schon Punkte, bei denen man darüber nachdenken muss, ob es wirklich noch angemessen ist, von der Verordnungsermächtigung Gebrauch zu machen. Das betrifft – erstens – tatsächlich die Interaktion der Aktionäre auf der Hauptversammlung untereinander, die sich im Augenblick virtuell nicht in der gleichen Weise verwirklichen lässt. Es betrifft – zweitens – die Fristen, die aus Coronagründen verkürzt wurden. Wenn das Ministerium die entsprechende Verordnungsermächtigung verlängern sollte, dann müsste man über die Frage nachdenken, ob man die Fristen nicht wieder an das Normalmaß anpasst. Auch insoweit gehen wir in die Normalität zurück, und das sollten wir berücksichtigen.

Im Übrigen wünsche ich mir eine gute Beratung und hoffe, dass Sie dem Gesetz am Ende zustimmen.

Herzlichen Dank und gute Nacht.

(Beifall bei der CDU/CSU)