28.05.2020
Dr. Volker Ullrich: Die Europäische Staatsanwaltschaft ist eine gute Idee
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Rede zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Mai 2016 hat der rumänische Staatspräsident die Leiterin der rumänischen Antikorruptionsbehörde für weitere drei Jahre im Amt bestätigt. Im Jahr 2018 ist die Leiterin dann durch den rumänischen Justizminister abberufen worden. Klaus Johannis, der rumänische Staatspräsident, hat sich geweigert, diese Abberufung zu unterschreiben,

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Guter Mann!)

ist aber vom rumänischen Verfassungsgericht gezwungen worden.

Am 5. Mai 2020 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschieden, dass die vorzeitige Abberufung und damit die Beendigung des Mandats der Leiterin der rumänischen Antikorruptionsbehörde Artikel 6 sowie Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt hat und damit rechtswidrig war. Gemeint ist Laura Kövesi, die jetzige Generalstaatsanwältin der Europäischen Staatsanwaltschaft.

Wer sich also in Rumänien sechs Jahre lang dem Kampf gegen die Korruption verschrieben hat, wer vom eigenen Verfassungsgericht aus dem Amt gedrängt wird, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zieht, dort klagt und obsiegt, ist eine Frau mit Courage, mit Mut. Sie hat unseren Respekt verdient, und sie wird eine gute Generalstaatsanwältin der Europäischen Staatsanwaltschaft sein.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Fall zeigt auch, dass es ein großes Bedürfnis in Europa gibt, dass Rechtsstaatlichkeit und die Geltung von Menschenrechten zu einem wesentlichen Merkmal europäischer Politik werden. Diesem Ziel hat sich auch die Europäische Staatsanwaltschaft verschrieben, nur auf einen Fokus, auf einen kleinen und begrenzten Fokus konzentriert. Es geht um die Frage des Kampfes gegen Veruntreuung von EU-Geldern. Aber vor dem Hintergrund, dass der mehrjährige europäische Finanzrahmen mittlerweile 1 Billion Euro auf sieben Jahre beträgt und wir gerade politisch dabei sind, diesen Rahmen zu verdoppeln, weil wir die Auswirkungen der europaweiten Covid-19-Pandemie bekämpfen, zeigt sich, dass es in Europa ein Bedürfnis gibt, dagegen vorzugehen, wenn EU-Gelder veruntreut werden. Und das muss Europa aus sich selbst mit rechtsstaatlichen Mitteln leisten.

Deswegen ist es gut, dass die Europäische Staatsanwaltschaft im November dieses Jahres ihre Arbeit aufnehmen kann. Damit das funktioniert, brauchen wir auch in Deutschland die entsprechenden Begleitgesetze.

Aber klar ist auch: Wir müssen die Europäische Staatsanwaltschaft darin unterstützen, dass sie ihre Arbeit mit der nötigen Sachausstattung vorantreiben kann. Im Augenblick sind 32 Staatsanwälte, sogenannte delegierte Staatsanwälte, vorgesehen. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass das möglicherweise nicht ausreicht. Deswegen müssen wir uns auch im Rahmen der Verhandlungen zum mehrjährigen europäischen Finanzrahmen dafür einsetzen, dass die Staatsanwaltschaft die Fälle, die sie auf den Tisch bekommt, mit der nötigen sachlichen und personellen Ausstattung handhaben kann. Und da muss auch klar sein, dass diese Arbeit durch einen gemeinsam getragenen europäischen Geist unterstützt wird, der besagt, dass es eine notwendige und eine wichtige europäische Einrichtung ist, die für mehr Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit in Europa steht.

Wir wissen auch, dass diese Staatsanwaltschaft noch nicht von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mitgetragen wird. Sie wird im Wege der verstärkten Zusammenarbeit eingerichtet. Aber ich glaube, wir müssen alles tun, um dafür zu werben, dass sich in den Staaten, die noch nicht dabei sein wollen, ein politischer Wille bildet, dass Europa auch bei der Bekämpfung von Korruption und Veruntreuung von europäischen Mitteln nur dann stark sein kann, wenn wir bei diesem Punkt gemeinsam zusammenstehen und alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich darauf verständigen, dass die Europäische Staatsanwaltschaft eine gute Idee ist.

Lassen Sie mich noch einen Satz zum Thema „Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft“ sagen; das ist ein wichtiges Thema. Die Anhörung hat ergeben, dass wir die Probleme des Europäischen Haftbefehls in der Praxis gut handhaben können, und zwar deswegen, weil er in Deutschland ohnehin bereits von einem Richter ausgestellt wird. Entscheidend ist aber ein anderer Punkt: Auch die Staatsanwaltschaft steht nicht außerhalb der demokratischen Legitimationskette, sondern ist darin eingebunden. Wenn wir die Staatsanwaltschaften da hinausdrängen, dann brauchen wir andere Möglichkeiten der demokratischen Legitimierung. Und die Staatsanwaltschaften sind ohnehin zusätzlich der gerichtlichen Kontrolle unterworfen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Entschuldigen Sie, Herr Ullrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung?

 

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Ja.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Dr. Martens, bitte.

 

Dr. Jürgen Martens (FDP):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, ich habe es vorhin bereits angesprochen, und deswegen meine Frage: Glauben Sie im Ernst, dass das Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften die Grundvoraussetzung für deren demokratische Legitimation ist?

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Sagt der ehemalige Justizminister! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das glaubt er selbst nicht!)

 

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Herr Kollege Martens, Sie müssen sich bewusst werden, dass die Staatsanwaltschaften zweierlei Kontrollen unterworfen sind. Zum einen natürlich ist das Handeln der Staatsanwaltschaft der gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Darüber hinaus muss sie aber auch als Behörde in den Organisationsaufbau eingebunden sein. Wenn Sie das Weisungsrecht wegnehmen, gerade auch das externe Weisungsrecht, dann haben Sie das Problem, dass Sie hier demokratische Legitimation wegnehmen, mit all den Konsequenzen, die wir nicht wollen, bis zu der Frage, ob wir Staatsanwälte nicht wählen müssten. Und ich glaube, das können wir nicht wollen, weil die Frage der Rechtspflege keine Frage von Wahlplakaten sein kann, sondern eine Frage einer angemessenen Ausbildung und Vorbereitung durch den Justizdienst sein muss. Deswegen bin ich nicht Ihrer Meinung und bitte, Ihren Antrag abzulehnen, aber unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)