28.05.2020
Alexander Radwan: Es geht darum, das Friedenswerk des europäischen Kontinents für zukünftige Generationen zu bewahren
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Rede zu Finanzierungsalternativen für einen europäischen Wiederaufbaufonds

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP hat ja den Antrag auf diese Aktuelle Stunde heute gestellt. Jetzt hätte ich eigentlich gedacht, es kommt eine Initiative der Liberalen aus Europa gemeinsam mit Macron, die uns dann erzählen, was der richtige Weg ist. Wir werden uns die Beschlüsse – Herr Lambsdorff, Sie kennen die europäischen Prozesse ebenso gut wie ich – dann genau anschauen. Aber das nur als flapsige Bemerkung vorweg.

Der Disput bzw. der Dialog zwischen Herrn Petry und Herrn Gottschalk vorhin lässt mich dann doch ein bisschen davon abweichen. Sie haben hier von der Verantwortung für zukünftige Generationen gesprochen.

(Kay Gottschalk [AfD]: Ja!)

Genau darum geht es: dieses Friedenswerk der Europäischen Union – da mögen Sie die Augen rollen; Sie mögen nicht daran glauben –, dieses Friedenswerk des europäischen Kontinents für die zukünftigen Generationen zu bewahren.

(Beifall des Abg. Markus Töns [SPD])

Wenn Sie hier von Versailles und von Waterloo reden und dann gegenüber dem Kollegen Petry von geistig-moralischem Verfall reden, dann kann ich nur sagen: Man sollte selber damit beginnen, sich genau anzuschauen, mit wem man sich umgibt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt sowohl national wie auch europäisch.

Meine Damen und Herren, wir reden hier sehr viel von Solidarität. Es ist nicht nur Solidarität. Es ist letztendlich eine Maßnahme, die im ökonomischen Interesse Deutschlands ist. Wenn wir uns die aktuelle Situation in der jetzigen Pandemiephase anschauen, wo Lieferketten abreißen, wo Absatzmärkte wegbrechen, kann, glaube ich, keiner mehr leugnen – außer er will unbedingt aus der Europäischen Union heraus –, dass es hier einen eklatanten ökonomischen Zusammenhalt gibt.

Aber es geht auch um den politischen Zusammenhalt in Europa. Wir müssen auch ein Stück weit zurückschauen, ob wir in den letzten 10, 15 Jahren alles richtig gemacht haben. Natürlich wollten wir entsprechende Maßnahmen auch über den ESM auf europäischer Ebene voranbringen, und die Maßnahmen waren richtig. Aber ich weiß nicht, ob es am Schluss richtig war, dass wichtige Infrastruktur wie zum Beispiel der Hafen von Piräus in Griechenland von den Chinesen gekauft wurde. Darum brauchen wir Europa: damit wir angesichts der großen Player, die es in der Welt gibt, ein Stück weit geeint unsere Themen setzen und unsere Probleme in Europa selber lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es geht hier nicht um einen Blankoscheck, und es geht auch nicht darum, keine Hilfen zur Verfügung zu stellen. Es geht um die Zukunft Europas. Daher geht es auch nicht darum, Altschulden zu übernehmen, sondern darum, in die Zukunft Europas zu investieren; die Stichworte sind gefallen: Digitalisierung, Infrastruktur, Technologie, Gesundheit und Klimaschutz. Eine Totalverweigerung ist keine Alternative, sondern wir müssen jetzt klug handeln.

Mit dem Anleiheprogramm, meine Damen und Herren, wird jetzt ein neues Kapitel in der Europäischen Union aufgeschlagen.

(Fabian Jacobi [AfD]: Ein dunkles Kapitel!)

Das gilt es entsprechend positiv zu begleiten und dabei die vom Deutschen Bundestag beschlossenen wichtigen Maßnahmen mit einzubringen. 2027 beginnt die Rückzahlung über 30 Jahre. Die Kommission spricht entweder von Kürzungen im Haushalt, höheren Beiträgen der Mitgliedstaaten oder einer EU-Steuer. Da möchte ich mit Blick auf diejenigen, die heute bereits eine EU-Steuer bejubeln – die von mir geschätzte Kollegin Brantner ist gerade nicht da –, schon auch sagen: Eine EU-Steuer auf der jetzigen Basis ist aus meiner Sicht nicht vorstellbar. Wenn man wie Sie diesen Weg gehen möchte, meine Damen und Herren, wenn die Kommission diesen Vorschlag jetzt macht, dann sollte sie auch dort ansetzen, wo es auf europäischer Ebene entsprechend ein Vakuum gibt.

Das Verfassungsgerichtsurteil wurde bereits mehrfach angesprochen. Es ist letztendlich ein Auswuchs dessen gewesen, dass die Europäische Zentralbank in einem Bereich gehandelt hat, wo die Mitgliedstaaten und die Kommission versagt haben, wo sie nicht gehandelt haben. Darum erwarte ich von der Europäischen Kommission und auch von der Bundesregierung, dass sie diesen Prozess mit einer strikten Konditionierung begleiten. Ein lapidarer Verweis auf das Europäische Semester ist mir hier zu wenig. Ich weiß gar nicht, ob die Europäischen Semester, Herr Kollege Graf Lambsdorff, in den Hauptstädten in den letzten Jahren überhaupt gelesen wurden. Das kann nicht sein. Wir brauchen eine klare Konditionierung mit Anreizen und Sanktionen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, das gilt auch für den Stabilitäts- und Wachstumspakt, wenn es dann in etlichen Jahren um die Frage geht: Wer kann hier was übernehmen? Da blicke ich gerade auch zu den Sozialdemokraten. Wir haben die Situation, dass momentan die Staaten von der Pandemie getroffen sind, die auch in den letzten Jahren den Stabilitäts- und Wachstumspakt gerissen haben. Ich möchte zukünftig nicht mehr eine lapidare Antwort erleben wie die von Jean-Claude Juncker auf die Frage, ob er ein Verfahren gegen Frankreich einleitet: Nein, das machte er nicht, „because it’s France“. Wenn hier auf Rechtsstaatlichkeit verwiesen wird, dann gehört dazu auch die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darum muss er – der gerade ausgesetzt ist – nicht nur wieder eingeführt werden, sondern er muss scharfgestellt werden. Er muss entpolitisiert werden.

Wir brauchen hier einen Automatismus. Das ist, meine Damen und Herren, auch die Forderung an die Bundesregierung und die Kommissionspräsidentin von der Leyen, die gestern im Parlament in Brüssel gesagt hat: Das Nichthandeln kostet, und es wird uns auch dann sehr viel kosten, wenn wir in diesem Bereich nicht aktiv sind. – Davon hat man von der Kommission bisher leider nichts gehört.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)