Allen Familien helfen – Zusätzliche Kinderkrankentage unabhängig vom Versicherungsstatus

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, nicht nur das Aufsetzen der Maske ist gelegentlich ambitioniert, sondern auch die richtige Wahrnehmung der Dinge, die wir in den letzten Monaten hier im Deutschen Bundestag diskutiert haben mit der Fragestellung: Wie können wir in dieser schwierigen Pandemiesituation den Familien helfen?

Ich werde jetzt den Nachweis führen, Herr Kollege, dass wir in nahezu allen Bereichen bei familienunterstützenden Maßnahmen, bei den Angeboten, die wir für Familien haben, immer auch flexibel möglichst schnell nachgesteuert haben; gelegentlich haben wir auch das, was die Regierung uns vorgelegt hat, verbessert.

Wir diskutieren hier über die Kompetenz des Parlaments. Ich kann für die CDU/CSU sagen und darf das auch für die SPD-Fraktion sagen, dass wir im Familienbereich hier immer sehr schnell, sehr zügig das nachgearbeitet haben, was Familien dringend brauchten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Fangen wir mit der Aufzählung an: Das war nicht nur beim Kurzarbeitergeld und beim Sozialdienstleister-Einsatzgesetz so, das war auch ganz am Anfang beim Infektionsschutzgesetz so; hier haben wir schnell reagiert und gesagt: Diejenigen, die Kinder zu Hause betreuen, die müssen eine Entschädigung bekommen für bis zu 20 Wochen. Es gibt Kinderkrankentagegeld für 20 Tage pro Elternteil bzw. 40 Tage für Alleinerziehende.

Ich sage ganz deutlich für die Union, dass wir auch eine Anpassung für die Selbstständigen, für diejenigen, die privat versichert sind, erreichen wollen, also eine Angleichung von § 56 Infektionsschutzgesetz und § 45 SGB V. Richtig ist, dass Selbstständige keine Kinderkrankentage bekommen. Aber wir wollen, dass beide Regelungen gleich sind; denn uns sind die Selbstständigen wichtig. Im Übrigen sind das in der Regel auch Frauen, die jetzt zu Hause die Kinder betreuen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir werden die Vereinfachung im parlamentarischen Verfahren hinbekommen. Da sind wir stolze Parlamentarier und kluge Parlamentarier, weil wir das umsetzen werden.

Ich will noch einige weitere Punkte ansprechen, weil Sie es hier so darstellen, Herr Kollege, als hätten wir nichts getan in den letzten Wochen. Bitte schauen Sie mal in die Protokolle! Wir haben – was ich richtig fand – bereits im letzten Jahr einen einmaligen Kinderbonus von 300 Euro auf den Weg gebracht. Jetzt hat man im Koalitionsausschuss beschlossen – richtigerweise –, noch einmal 150 Euro pro Kind auf den Weg zu bringen, um auch im finanziellen bzw. materiellen Bereich die Dinge für die Familien besser zu gestalten.

Wir haben den Zugang zum Kinderzuschlag – dem wichtigen Kinderzuschlag, eine der besten familienpolitischen Leistungen – jetzt in der Coronapandemie für Menschen mit einem kleineren Einkommen erleichtert. Wir haben das Elterngeld angepasst; Kollege Beermann wird nachher noch darauf eingehen. Wir haben sozusagen coronagesichert. Auch die Maßnahmen waren richtig und wichtig.

Wir haben relativ schnell den Ländern gesagt: Wir geben euch 1 Milliarde Euro. Baut jetzt die Angebote in der Kindertagesbetreuung aus! Schafft in den Einrichtungen Hygienemaßnahmen mit Blick auf das Coronageschehen!

Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Träger der Kinder- und Jugendhilfe ein Hilfspaket von 100 Millionen Euro bekommen, weil die Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe gerade jetzt wichtig sind, weil wir nach der Coronapandemie eine Zeit erleben werden, wo wir uns um die kümmern müssen, die jetzt in den letzten Wochen und Monaten Schäden mitgetragen haben bzw. Schäden erleiden mussten; denn die Auswirkungen sind nicht nur und in erster Linie materielle Schäden.

Deswegen komme ich zum Hauptpunkt. Wenn wir über Familien reden, dann dreht sich die Debatte. Natürlich ist es wichtig für jeden Vater, für jede Mutter: Was habe ich im Portemonnaie? Aber viel wichtiger ist für die Mütter, für die Väter das, was gerade in den Seelen ihrer Kinder passiert, und was in den Seelen der Großeltern passiert. Und das ist nicht nur etwas Materielles, sondern das ist eine Veränderung, eine massive Veränderung nach Wochen, nach Monaten besonderer Maßnahmen – die wichtig und die richtig sind.

Aber es ist in der Diskussion, die wir jetzt führen müssen, unser Auftrag, darauf zu achten: Wie verändern sich die Lebenswelten dieser Menschen? Wie ist es denn, wenn sich, wie das Universitätsklinikum Hamburg vor zwei Tagen, festgestellt hat, nach mittlerweile einem Jahr der Pandemie – auch wenn die Maßnahmen unterbrochen wurden – bei ungefähr einem Drittel – einem Drittel! – der Kinder psychische Folgewirkungen zeigen? Wie ist es denn, wenn wir feststellen – krisenchat.de –, dass ungefähr 20 Prozent derjenigen, die anrufen, der jungen Menschen in der Adoleszenz, der jungen Mädchen, der jungen Frauen, suizidal sind? Wie ist es denn, wenn wir merken, dass Kinder mittlerweile tatsächlich psychische Probleme haben bis hin zur Depression, und wenn viele Menschen, die in der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten, Auswirkungen wahrnehmen, zum Beispiel beim Thema Essstörungen? Das sind übrigens nicht nur Befindlichkeiten, das ist etwas mehr.

Ich glaube, es wird unser Auftrag sein, uns jetzt in der Diskussion dem anzunehmen. Es geht um junge Menschen, die ihre Peergroups nicht mehr sehen, die vereinsamt sind, zehn-, zwölfjährige Kinder, die in den letzten Jahren glücklich waren und jetzt auf einmal sagen, dass sie in die Einsamkeit geraten. Und das wird das sein, was die Familienpolitik in den nächsten Monaten prägen wird.

(Zuruf von der FDP)

– Ah, der Kollege steht. Er hat die Maske abgenommen und möchte sicherlich eine Zwischenfrage stellen. – Die würde ich zulassen, Herr Präsident.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie sie zulassen.

Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU):

Natürlich.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Aggelidis.

Grigorios Aggelidis (FDP):

Danke, Herr Präsident. – Danke, lieber Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich höre Ihnen ja gerne zu, wenn Sie über die Folgen für Kinder sprechen, und stimme da mit Ihnen überein. Ich stelle nur immer wieder fest: Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was Sie hier sagen, und dem, was beispielsweise Ihr Fraktionsvorsitzender sagt. Ich will ihn zu dem Punkt, den Sie gerade angesprochen haben, zitieren, und frage Sie, ob das wirklich so gut zu dem passt, was Sie sagen, und dem Wohl der Kinder förderlich ist.

Er sagte: Sorgen bereitet mir allerdings, dass die Länder nun individuell darüber entscheiden, dass Schulen und Kitas wieder zu öffnen sind. Ich habe in dieser Phase der Pandemie Zweifel daran, ob das so richtig ist. Wir müssen wieder zu Inzidenzen unter 10 oder unter 5 kommen, um die Öffnungen entsprechend wieder hinzubekommen.

Wissen Sie, wenn das die Perspektive sein soll, zehn Monate nach Ende des ersten Lockdowns, dann, finde ich, ist meine Aussage richtig, dass sich an der Situation – nicht an dem, was Sie hier unternommen haben – von Familien in den letzten zehn Monaten nichts wirklich Gravierendes geändert hat.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU):

Lieber Herr Kollege, mein Fraktionsvorsitzender ist ein kluger Kopf, und er hat komplett recht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen, warum: weil mich das auch ärgert, weil das die Familien ärgert. Ich hätte mir gewünscht – und das hat er gestern in der Debatte ausgedrückt –, dass die 16 Bundesländer miteinander vereinbaren, eine einheitliche Lösung herbeizuführen.

(Michaela Noll [CDU/CSU]: Genau! Das wäre richtig gewesen!)

Wissen Sie, was Familien brauchen? Familien brauchen Planungssicherheit, und Familien wollen, dass die Regierenden eine Entscheidung mit einer gemeinsamen Haltung verkörpern und nicht das eine Bundesland etwas anderes beschließt als das andere. Und gerade im Bereich Kitas und Schulen, in diesem sensiblen, wichtigen Bereich für Familien, wäre es gut gewesen, wenn es aus der MPK heraus wieder zu einer Einheitlichkeit in der Frage der Öffnung gekommen wäre.

Ich sage Ihnen mal eins: Ich bin Hamburger. Wir halten jetzt noch bis 1. März die Schulen geschlossen. Und was passiert dann? – Dann sind in Hamburg zwei Wochen Ferien. Das heißt, bis zum 15. März sind die Schulen geschlossen. Ich weiß ehrlicherweise nicht, ob das eine kluge Entscheidung ist. Ich finde es richtig, wenn Länder sie früher aufmachen. Aber Einheitlichkeit wäre das Erste, was geboten wäre.

Und das Zweite – das hat der Fraktionsvorsitzende gestern gesagt –: Das muss dann nicht nur mit der Frage verbunden werden: „Öffne ich eine Schule oder eine Kita?“, sondern auch mit folgenden Fragen: Wie sieht es mit Schutzmaßnahmen und Masken aus? Wie sieht es mit Testung aus? Wie sieht es mit einer Begleitung durch Lüfter und ähnlichen Dingen aus? – Und da wäre es ein Wunsch gewesen – das sage ich als Bundestagsabgeordneter ganz deutlich –, dass die Bundesländer hier mal von sich aus eine einheitliche Linie vereinbart hätten, und das haben sie nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und das ist das, was die Eltern irritiert und sie auch ärgert.

Daran kann ich gleich anschließen; die Frage ist ja beantwortet. Aber das ist genau der Punkt, den ich jetzt bringen wollte. Eltern machen ja Dinge mit ihren Kindern, mit ihren Familien gemeinsam, verändern ihre Lebenswelt, wenn sie eine Perspektive haben, dass das, was sie tun, irgendwann auch dazu führt, dass ihre Lebenswelt sich wieder so erschließt, wie sie es vorher erlebt haben. Deswegen ist Planungssicherheit ein ganz zentraler Anker, und deswegen braucht man klare Vereinbarungen, damit Eltern wissen, dass sie, wenn sie noch zwei oder vier Wochen ihre Kinder zu Hause betreuen, dann auch eine Perspektive haben.

Deswegen muss das Thema „Öffnung von Kitas und Schulen“ ein zentrales sein, weil dort soziale Interaktion stattfindet und weil dort in Kitas und in Einrichtungen das stattfindet, was Kinder in der jetzigen Zeit massiv vermissen. Das wird auch eine Aufgabe der nächsten Monate sein, die wir gemeinsam angehen sollten: Wie gehen wir mit den Fällen von psychischen Problemen in der Folge der Coronapandemie um? Das sind Kinder und Jugendliche, die keine Freunde mehr haben oder kaum noch Freunde treffen.

Und das sind dann natürlich auch die älteren Menschen; die gehören nämlich auch mit zur Familie. Wir haben als CDU/CSU-Fraktion das Thema Einsamkeit sehr intensiv beraten: Was erleben die Menschen gerade? Wenn dann eine ältere Dame sagt, sie werde sterben, entweder an Corona oder an Einsamkeit, dann darf uns das nicht ruhen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dann müssen wir dringend darüber nachdenken, wie wir neben der materiellen Frage auch dies angehen, neben der Frage: Wie können wir alle familienpolitischen Maßnahmen Schritt für Schritt anpacken? Das machen wir. Das machen wir gut, schnell, flexibel, das machen wir auch richtig.

Die eigentliche Kernfrage für uns muss sein: Wie können wir die Lebenssituation der Menschen mit Blick auf ihre Lebenswelten wieder verbessern? Denn die Einsamkeit – das wird ein Thema sein – frisst sich in die Seelen unserer Kinder und unserer Großeltern. Und das ist etwas, was gesellschaftspolitisch in dieser Dimension von uns noch gar nicht so richtig erkannt ist. Das wird die Zukunft der Debatte sein, die wir führen müssen, nicht über das Materielle, sondern über das, was die Menschen dann bewegt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Druckversion