Redebeitrag zu den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Wettbewerb ohne Regeln – ich zitiere Ludwig Erhard, den Begründer der sozialen Marktwirtschaft – hat eine sich selbst zerstörende Kraft, und deshalb braucht jeder Wettbewerb einen Schiedsrichter, der Regeln setzt und dafür sorgt, dass sie auch durchgesetzt werden können. Das ist der Staat; das ist die Politik, der Gesetzgeber.

Die Pandemie zeigt derzeit: In großen Schlachtbetrieben sind diese Regeln verloren gegangen. Kontrollen, gerade auch in NRW, zeigen: Schlachtbetriebe, die mit festangestellten Arbeitnehmern tätig sind, zeigen kaum Auffälligkeiten. Auffälligkeiten treten dort auf, wo Werkverträge außer Kontrolle geraten sind. Mit der Mentalität „Geiz ist geil“ werden in der Öffentlichkeit Verbraucher getäuscht und Landwirte unter Druck gesetzt. Wir erkennen heute: Wir bezahlen einen zu hohen Preis für billiges Fleisch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb ist auch das, was Bundesministerin Julia Klöckner fordert, wichtig: dass wir Augenhöhe und faire Preise über die ganze Lieferkette im Lebensmittelhandel erreichen. Wer wie die Firma Tönnies nach drei Monaten Pandemie immer noch einen laxen Umgang mit Hygienestandards praktiziert und drei Wochen der Aufforderung des Landrates, die Adressen der Beschäftigten zu übermitteln, nicht folgt, der verspielt Vertrauen. Wer der Selbstverpflichtung der Fleischwirtschaft von 2015, mehr Stammbeschäftigte einzustellen, nicht folgt, der verspielt Vertrauen.

Stattdessen: eine Kette von Skandalen. 2015: Mit Kolibakterien verseuchtes Fleisch für Tiernahrung soll entsorgt werden – und landet wo? In Kantinen. 2016 sterben acht Verbraucher, nachdem Fleischproduzent Sieber mit Listerien verseuchtes Essen auslieferte. 2019 sterben Menschen infolge einer bakteriellen Verseuchung durch Fleischprodukte der Firma Wilke. 2020: die Coronafälle. Nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind die permanent wiederkehrenden Skandale, die auch töten.

Der europäische Sozialkommissar Nicolas Schmit hat uns aufgefordert: „Wir müssen jetzt schnell handeln“. Wir müssen europäisch handeln, damit die Fleischindustrie wieder faire europaweite soziale Standards einhält, und zwar auch in Deutschland. Wir haben 2017 die Generalunternehmerhaftung eingeführt. Wir haben 2020 das Entsendegesetz geändert, die verbesserte Beratung „Faire Mobilität“ als Prävention für Skandale verstetigt und besser mit Finanzen ausgestattet. Denn die beste Prävention ist immer noch eine gute Beratung, zu wissen: Was sind meine Rechte, und was sind die Möglichkeiten, wenn ich in Deutschland arbeite?

Notwendig bleibt eine stärkere Kontrolldichte. Beim Zoll müssen alle Planstellen besetzt sein. Wir haben sie aufgestockt; aber es gibt die Information, dass bis heute 20 Prozent der aufgestockten Planstellen immer noch nicht besetzt sind. Wir müssen die Planstellen auf die Straße bringen. Wir brauchen einen IT-gestützten Datenaustausch zwischen Finanzämtern, Zoll, Polizei und Kommunen. Es kann nicht sein, dass Akten noch transportiert werden und dass sie auf dem Weg schon mal verloren gehen. Da muss die Software, da müssen die IT-Möglichkeiten endlich verbessert werden.

Unterkünfte sind keine Ferienwohnungen. Sie müssen, weil sie der Erwerbstätigkeit dienen, umfassend von allen Seiten, auch vom Arbeitsschutz, kontrolliert werden können. Unmöglich ist ein „Matratzengeld“, bei dem mehrere Beschäftigte sich eine Matratze teilen müssen. Das ist Ausbeutung; das ist ähnlich der Sklaverei. So etwas ist schon heute kriminell; aber der Kontrolldruck muss hier insgesamt verstärkt werden. Bei der Digitalisierung der Zeiterfassung, aber auch bei technischen Fragen wie Umlüftern, mehr Frischluft, besseren Filtern werden wir in der Arbeitsstättenverordnung tätig werden. Auch das Thema der Aerosole ist offenkundig eines, das angegangen werden muss.

Aber: Der Schlüssel sind die Werkverträge. Schlachtbetriebe werden – so wird beispielsweise von Müller Fleisch berichtet – von Subunternehmen umworben, regulär Beschäftigte zu entlassen und auf sie und Werkverträge zu setzen. So erodiert die klassische Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer mit seinen Rechten, indem der Unternehmer die Flucht aus dieser Verantwortung betreibt. Deshalb sind Werkverträge in dem Bereich derzeit ein Instrument, um das regulierte, legale, sozial abgesicherte Arbeitsverhältnis zu zerstören.

Deshalb muss die Politik da klar werden und handeln, so wie es Ludwig Erhard, wie es die soziale Marktwirtschaft einfordert. Die Deutsche Bischofskonferenz appelliert an die Politik – ich zitiere –, „ein auf Ausbeutung basierendes Geschäftsmodell“ in der Fleischwirtschaft „wirksam zu durchbrechen“. Diesem Appell werden wir folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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