Rede in der Aktuelle Stunde - Für eine schnelle Einigung bei der Wahlrechtsreform

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen! Sie hörten einen Redner, der in seinem Wahlkreis in Gelsenkirchen 6,5 Prozent der Erststimmen erhalten hatte und dessen Wahlkreis dann am Ende mit 38 Prozent an die SPD ging. Ich sage das, damit sich Ihre Perspektive – übrigens, Herr Präsident, ohne Tortendiagramm, ohne Balkendiagramm; ich habe nichts, was ich den Zuschauern zeigen könnte – notwendigerweise ein Stück ändert.

Keiner aus der Union, keiner aus der SPD hat hier jemals einen Unterschied zwischen einem Mandatsträger mit einem Direktmandat und einem mit einem Listenmandat gemacht.

(Christian Dürr [FDP]: Aber hallo! – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist unwahr.

(Christian Dürr [FDP]: Aber hallo!)

– Regt euch nur auf. Es gibt im Gesetz keinerlei Unterschied. Abgeordneter bleibt Abgeordneter.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, nee, nee! Letztes Mal: Axel Müller, Heveling, Özdemir! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Gut, dass Sie das jetzt einmal klarstellen!)

Frau Haßelmann trocknen Sie Ihre Krokodilstränen. Sie haben dem Kollegen Grosse-Brömer den Vorwurf gemacht, er hielte Sie wohl für blöd.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)

Tun Sie mir bitte dieselbe Ehre an!

Es geht hier doch überhaupt nicht um die Frage, ob es einen Unterschied zwischen uns gibt. Alle machen ihre Arbeit.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie die Reden noch mal nach, die Sie halten!)

Es geht um die Frage des Weges in dieses Parlament. Da ist das personalisierte Verhältniswahlrecht eben eindeutig. Es ist eindeutig, dass es eine personelle, eine tatsächlich direkte Komponente und eine Mehrheitswahlkomponente hat. Das können Sie doch nicht in Abrede stellen. Also, hören Sie bitte auf, diesen Unterschied auf unnatürliche Weise herbeizuführen! Wir wollen ihn nicht. Wir wollen uns nur ans Recht halten.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal mit Herrn Schneider! Der hat hier etwas anderes erzählt!)

Deshalb muss man mit dieser Aussage deutlich aufräumen, Ihre Vorschläge hülfen, irgendwie die Welt beim Drehen zu hindern. Wir haben es über zweieinhalb Jahre in der Reformkommission versucht. Wir haben es berechnen lassen. Jedem ist klar, dass Ihr Vorschlag selbst dann, wenn 50 Wahlkreise gestrichen würden, diesen Bundestag nicht daran hindert, größer zu werden. Wie oft soll man das an diesem Pult eigentlich noch darstellen? Es hilft einfach nicht, wenn Sie eine Regel finden wollen, die das Problem, das wir analysiert haben, nicht löst. Deshalb ist der Vorschlag nicht tauglich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Zweite, was ich noch sagen möchte, betrifft die Idee der Nichtzuteilung von Wahlkreisen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, stellen Sie sich vor, Sie führen einen Wahlkampf – das gilt übrigens auch für Listenmandatsträger; die führen nämlich auch Wahlkampf –, bewerben Sie sich um ein Mandat, erhalten dieses Mandat selbstverständlich mit relativer Mehrheit – mit welcher Mehrheit wollen Sie es denn sonst erreichen? –, und am Ende des Tages sagt Ihnen der Bundeswahlleiter: Tut mir wahnsinnig leid, aber es ging um 0,1 Prozentpunkte daneben; Sie werden nicht in den Deutschen Bundestag einziehen. – Das machen Sie mit dem deutschen Wähler nur ein einziges Mal. Beim nächsten Mal geht er nicht mehr zur Wahl.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Er wird nämlich definitiv nicht mehr erkennen, dass es auf sein Kreuz ankommt. Das ist das Kreuz mit der Demokratie: Sie rufen den Wähler zur Wahl, er versucht, jemanden zu wählen, und am Ende des Tages entscheidet ein Bundeswahlleiter darüber und sagt: Tut mir furchtbar leid, es hat nicht geklappt. – Da muss man doch zum Ergebnis kommen: Dahinter steht eine andere Idee.

Tut mir leid, auch diesen Vorwurf muss man mal erheben: Wer so mit dem personalisierten Verhältniswahlrecht umgeht, der meint es nicht besonders ernst mit dessen Elementen. Am Ende des Tages, glaube ich, läuft es darauf hinaus, dass man Wahlkreise für überhaupt nicht mehr notwendig erachtet, dass man dieses Land nur noch nach Listen und Verhältniswahlrecht entscheiden lässt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das mag gerne so in Ihr politisches Bild passen. Unser Bild ist es nicht. Der Wahlkreis ist entscheidend, weil er ein direktes Element der Demokratie ist.

(Christian Dürr [FDP]: Sie wollten doch keinen Unterschied machen!)

Ich darf vielleicht noch einmal ins Gedächtnis rufen: Die Listen der Parteien werden auf 16 Listenmandats- und Listenparteitagen erstellt. Die Bewerber für die Wahlkreise werden in 299 basisdemokratischen Aufstellungsversammlungen direkt gewählt. Die Legitimation durch den Wähler direkt vor Ort, der ein Gesicht, eine Person, einen Menschen haben will, der nach Berlin geht

(Christian Dürr [FDP]: Parteitage sind nicht mehr demokratisch, oder was? – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– durch Schreien wird es nicht besser –, diese Legitimation, die vom Wähler vor Ort kommt, ist also eindeutig direkter als die der Listenmandate. Es heißt mehr Unabhängigkeit. Es heißt am Ende – um einmal das CSU-Motto zu zitieren –: „Näher am Menschen“.

(Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Letztendlich werden Sie die Frage hier nur lösen können, wenn Sie den Menschen für die Wahl eine deutliche Höchstgrenze versprechen, wenn Sie auch sagen können, wie viele Mandate der Deutsche Bundestag am Ende des Tages wirklich haben wird. Also: Versuchen Sie nicht, mit Ihren Nebelkerzen abzulenken!

(Christian Dürr [FDP]: Sie sind die Nebelkerze, Herr Frieser!)

Die Frage, die wir hier für die Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bundestages zu klären versuchen, ist, wie wir am Ende eine echte Höchstgrenze erreichen; dabei darf es nicht nur um das Streichen und Zerschmettern von Wahlkreisen gehen. Damit tun Sie weder dem Wähler noch der Demokratie einen Gefallen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Vorschlag! Nix! Nix auf der Pfanne! – Christian Dürr [FDP]: Zero!)

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