Den INF-Vertrag als Grundpfeiler atomarer Sicherheitsarchitektur und Kernelement europäischer Sicherheit erhalten

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Keul hat den Koalitionsvertrag falsch gelesen und unvollständig zitiert.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sehr unwahrscheinlich!)

Wir haben in den Koalitionsvertrag ausdrücklich hi­neingeschrieben: Ziel der Koalition ist die „nuklearwaffenfreie Welt“. Ziel der Koalition ist die „verifizierbare Abrüstung von allen Massenvernichtungswaffen“.

(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber Sie tun nichts!)

Ich glaube, klarer kann man sich zu dieser Frage nicht positionieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und konkret?)

Das Problem, vor dem wir im Augenblick angesichts der möglichen Verletzung des INF-Vertrages stehen, ist eben auch nicht mit Wortbausteinen von der Bonner Hofgartenwiese zu lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist jetzt ganz schlecht, was Sie sagen!)

Das ist damals, in den 80er-Jahren, schon falsch gewesen, und es ist heute falsch.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war absolut richtig!)

Denn wenn die Gutwilligen ihre Waffen abrüsten, werden diejenigen, die diese Waffen aus bösen Gründen weiter behalten wollen, sie keinesfalls hergeben – sei es Kim Jong Un in Nordkorea oder sonst jemand auf der Welt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der INF-Vertrag war der größte diplomatische Abrüstungserfolg des 20. Jahrhunderts. Er ist möglich geworden, weil der Westen – allen voran Deutschland – den schwierigen, politisch hoch umstrittenen, mühsamen Weg des Doppelbeschlusses gegangen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN: Oh! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Er ist möglich geworden durch Gorbatschow!)

Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung in Europa ist es schlicht und einfach falsch, die heutige Politik mit den Argumenten von damals zu bekämpfen, mit Argumenten, die schon damals ebenso falsch waren, wie sie heute falsch sind.

Lassen Sie mich noch einen Gedanken vortragen, der sich an den Kollegen Müller von der FDP richtet. Sie haben die Frage gestellt: Warum erleben wir diese Aggression auf russischer, auf Putins Seite? Ich habe die Einschätzung, dass der russische Präsident, der nun zwei Jahrzehnte lang die Geschicke seines Landes bestimmt, bei einer sachlichen Analyse der innen-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Erfolge seines Landes zu einem ernüchternden Schluss kommen muss. Denn es ist in Russland nicht gelungen, die Wirtschaft zu diversifizieren und den Haushalt ein Stück weit aus der enormen Abhängigkeit von den Erlösen aus Öl- und Gasexporten zu befreien. Putin weiß, dass er das soziale Niveau und die wirtschaftliche Entwicklung in seinem Land ebenso wie die Befriedigung von Oligarcheninteressen auf Dauer nicht gewährleisten kann, wenn der Öl- und Gaspreis auf dem niedrigen Niveau bleibt, auf dem er heute ist.

Er baut deswegen die Legende auf, die westliche Welt sei schuld daran, dass Russland nicht so vorankommt, wie andere Staaten nach dem Fall der Mauer bzw. des Eisernen Vorhangs vorangekommen sind. Damit will er vermeiden, dass die Menschen in Moskau vielleicht eines Tages auf die Straße gehen und gemäß dem Märchen der Gebrüder Grimm feststellen: Der Kaiser hat ja gar keine Kleider an.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Andersen! Hans-Christian Andersen! – Zurufe von der AfD: Hans-Christian Andersen!)

Wir müssen uns ganz nüchtern mit der Motivation des russischen Präsidenten auseinandersetzen, angefangen beim Einmarsch auf der Krim, über das, was wir 2015 mit der enormen konventionellen Aufrüstung der neuen Panzergeneration – 11 000 Panzer will Putin von den neuen Armata-Panzern anschaffen, die am 9. Mai über den Roten Platz gerollt sind – erlebt haben, bis hin zu den Ereignissen der letzten Tage: das zynische Verhalten gegenüber den Bemühungen der UN, für die Menschen in Ost-Ghuta einen Waffenstillstand auszuhandeln,

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Für ganz Syrien!)

und die Hackerangriffe, die möglicherweise, wie damals 2015, ganz konkret von Servern, die in Russland stehen, ausgegangen sind, von Servern, die der russische Präsident schlicht abschalten könnte, ganz zu schweigen von seiner gestrigen Rede, die an Martialität kaum zu überbieten war. Ich glaube, er will von Versäumnissen im eigenen Lande ablenken, und es ist ein Stück weit unsere Aufgabe, das vor der Präsidentenwahl in Russland in 14 Tagen auch so zu benennen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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