Rede zum Verhalten der Bundesregierung im Fall Deniz Yücel

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Freude und Erleichterung sind die Gefühlslagen, die wir über die Haftentlassung von Deniz Yücel empfinden. Aber wir tragen auch Sorge in uns in Bezug auf all diejenigen Journalisten, die noch in der Türkei inhaftiert sind

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und in jüngster Zeit auch zu langen Freiheitsstrafen verurteilt wurden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Von dieser Stelle sei erinnert: Die Türkei ist Vertragspartner der Europäischen Menschenrechtskonvention. Presse- und Meinungsfreiheit sind wesentliche Bestandteile dieses Vertragswerkes. Auch daran muss sich die Türkei halten.

Wenn wir über die Bewertung der Arbeit von Deniz Yücel durch Politiker der AfD sprechen, dann kommt man nicht daran vorbei, dass die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel gesagt hat:

Yücel ist weder Journalist noch Deutscher.

Das ist deswegen besonders niederträchtig und empörend, weil die Staatsangehörigkeit dazu führt, dass jemand in die Werte- und Verantwortungsgemeinschaft unseres Landes eintritt. Wer allerdings jemandem wegen seiner Herkunft oder wegen seines Aussehens die Staatsangehörigkeit abspricht, der muss wissen, dass er sich außerhalb des Verfassungsbogens bewegt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Äußerungen von Deniz Yücel in vielen Jahren journalistischer Arbeit kenne ich persönlich größtenteils nicht. Die Äußerungen, die Sie in dem Antrag zusammengefasst haben, sind teilweise aus dem Kontext gerissen.

(Lachen bei der AfD)

Aber es kommt gar nicht darauf an, ob diese Äußerungen mir persönlich gefallen. Es wäre weder meine Sprache noch mein Inhalt. Entscheidend ist etwas anderes. Es geht um die Frage: Welche Reichweite hat Meinungsfreiheit in diesem Land und in dieser Gesellschaft? Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Meinungsfreiheit schlichtweg konstituierend für eine freiheitliche demokratische Gesellschaft ist

(Stephan Brandner [AfD]: Genau!)

und dass ohne Meinungs- und Pressefreiheit Demokratie nicht möglich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)

Wenn Sie also sagen, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordern solle, eine einzelne Meinungsäußerung zu missbilligen, dann hat das noch eine ganz andere Note, nämlich eine, bei der Sie sich ebenfalls außerhalb des Verfassungsbogens bewegen. Es ist nicht Aufgabe staatlicher Organe, Meinungen zu kommentieren, zu bewerten oder gar zu zensieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Nein. Es ist alles gesagt.

(Stephan Brandner [AfD]: Wenn alles gesagt ist, Herr Kollege, können Sie jetzt aufhören! – Gegenruf der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Gauland hat vorhin auch keine Frage zugelassen! Sie lassen auch keine Fragen zu!)

Jemand, der – zum Beispiel als Journalist – eine Meinung äußert und damit gegen die Rechte anderer verstößt, der wird von den Gerichten, wenn er die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten hat, auch entsprechend verfolgt. Beleidigung und Volksverhetzung sind in diesem Land zu Recht strafbar.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen die von der AfD doch auch!)

Das sollten auch einige von Ihnen bitte zur Kenntnis nehmen.

(Beifall der Abg. Anja Karliczek [CDU/CSU])

Aber es ist nicht unser Konzept eines freiheitlichen Staates, dass wir Vorschriften machen, wie jemand zu denken und zu reden hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer das möchte, der findet sich in einem anderen Staat wieder – in einem Staat ohne Meinungsfreiheit, in einem Staat ohne Demokratie,

(Stephan Brandner [AfD]: In einem Staat mit Heiko Maas und seiner Zensurbehörde!)

in einem autoritären Gemeinwesen, in dem die freie Rede, das Miteinander gefährdet sind und das natürlich auch keine Demokratie mehr ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sage ich Ihnen ehrlich: Wehret den Anfängen! Ein solcher Antrag ist verfassungsfeindlich – ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen –, und deswegen lehnen wir ihn ab.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

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