Demokratieklausel wieder einführen (AfD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, am Anfang einer solchen Debatte sollten wir noch einmal Norbert Lammert zitieren, der in seiner Abschiedsrede vor dem Scheitern der Demokratie gewarnt hat und uns noch einmal ins Stammbuch geschrieben hat, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Zitat:

Und wir wissen aus noch nicht ganz so lange zurückliegenden Phasen der deutschen Geschichte, dass auch Demokratien ausbluten können, dass sie ihre innere Kraft verlieren, wenn sie die Unterstützung der Menschen verlieren, für die es sie gibt.

Richtig ist, dass wir momentan erleben, dass Demokratie außerhalb Europas und außerhalb Deutschlands immer mehr durch autokratische, durch repressive Systeme in Bedrängnis kommt – auch an der Grenze zu Europa, wie man mit Blick auf die Türkei sagen muss. Aber wir erleben auch, dass bei uns in Deutschland demokratiefeindliche Radikalisierung mehr und mehr zunimmt, gesellschaftlich und teilweise auch politisch unterstützt und akzeptiert wird. Wir haben es gestern bei der Gedenkveranstaltung gehört: Passt auf, was in Deutschland passiert. – Dass Sie, werte Damen und Herren der AfD, jetzt kommen und sich als Retter der Demokratie aufspielen, das ist schon sehr skurril.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn, Herr Dr. Friesen, wir reden nicht nur über eine Klausel, wir reden nicht nur über die Frage, wie man Wahlsysteme gestaltet oder wer wen wählt – was bei einer Demokratieklausel möglicherweise von Bedeutung ist –, sondern wir reden auch darüber, dass Demokratie Bewusstsein voraussetzt. Das beinhaltet eine Haltung zur Demokratie, zu einer demokratischen Gesellschaft und zu demokratischen Werten.

(Beifall bei der AfD)

Und wenn ich von Haltung rede, bin ich schnell bei Werten wie Toleranz und Respekt, bei der Ablehnung von Gewalt und bei einer humanen Gesellschaft. Und wenn ich von Werten rede, dann bin ich bei Freiheit, einer freien Gesellschaft, einer gerechten Gesellschaft und einer solidarischen Gesellschaft, möglicherweise auch denjenigen gegenüber, die nicht in Deutschland geboren sind, aber in Deutschland leben.

(Abg. Jan Ralf Nolte [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Nein, liebe Kollegen, das lassen wir jetzt einmal. – Danke.

Die Gefahr ist, dass es Menschen gibt, die die Religionsfreiheit abschaffen wollen, Stichwort „Freiheit“. Da werden dann Direktiven ausgegeben, dass „am Bosporus mit den drei großen M – Mohammed, Muezzin und Minarett – Schluss ist“.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

– Wir reden über Freiheit und Religionsfreiheit.

Die Gefahr ist, dass es in unserem Land Menschen gibt, die eine Ausganssperre für Flüchtlinge ab 22 Uhr wollen, dass es bei uns im Land Menschen gibt, die die Aufmärsche der Identitären Bewegung unterstützen, die ein deutlich rassistisches Bild von Deutschland haben, dass es bei uns Menschen gibt, die in irgendwelchen WhatsApp-Gruppen darüber sprechen, wie die Endlösung für die „Musels“ in Deutschland aussehen muss und dass man Tierversuche stoppen kann, weil man stattdessen Flüchtlinge nehmen kann. Dagegen Stellung zu nehmen, das ist demokratisches Bewusstsein; aber damit haben Sie nichts gemein und nichts am Hut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und Sie wissen ganz genau: Das sind nicht irgendwelche Menschen, das sind auch nicht irgendwelche Mitglieder der AfD, sondern das sind Ihre Mandats- und Funktionsträger, die das behaupten. Wenn Sie uns jetzt Nachhilfe geben wollen bei der Frage von demokratischem Bewusstsein, da kann ich nur sagen: „Schein“ hat mehr Buchstaben als „Sein“. Das nehmen wir Ihnen nicht ab und die Menschen in Deutschland auch nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kommen wir zur Demokratieklausel. Wir gestehen ja ein: Wir diskutieren mit unserem Noch-Koalitionspartner und Möglicherweise-bald-wieder-Koalitionspartner sehr intensiv darüber, wie wir dieses demokratische Bewusstsein auch dort verankern, wo Träger Geld bekommen für die politische Arbeit und für die Arbeit in der Kommune. Richtig ist, dass wir da unterschiedliche Auffassungen haben. Richtig ist auch, dass wir immer gesagt haben: Wir wollen ein proaktives Werben für die Demokratie und wollen das auch in einer Klausel festschreiben.

(Beatrix von Storch [AfD]: Also sind Sie doch dafür!)

Richtig ist auch, dass das von anderen anders gesehen wird.

Aber jetzt kommen wir einmal zum Geist des Antrages bzw. zum Geist der Dinge, um die es uns da geht. Sie haben Ihren Antrag schon in Sachsen gestellt, in Sachsen-Anhalt, in Hamburg und auch im Kreistag Meißen.

(Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: In NRW auch!)

Deswegen will ich ganz gerne das Begleitschreiben zum Zuwendungsbescheid im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ zitieren. Diejenigen, die Geld bekommen, müssen nämlich Folgendes unterschreiben – jetzt geht es um den Geist des Ganzen, der uns in dieser Frage verbindet –:

Im Umkehrschluss ergibt sich daraus jedoch gleichermaßen, dass extremistischen Organisationen oder Personen, die nicht die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten, keine direkte oder indirekte Förderung zuteilwerden darf. Unterwanderungsversuchen von geförderten Initiativen durch solche Personen oder Gruppen muss wirksam begegnet werden – ungeachtet dessen, ob sie den Bereichen islamistischer Extremismus, Rechts- oder Linksextremismus angehören.

Das ist der Geist, den wir tragen. Wir können über die Frage diskutieren, wie man das gestaltet. Richtig, da gab es verschiedene Positionen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist doch der Punkt!)

Damit komme ich zum letzten Punkt, der für uns in der Union wichtig sein wird, gerade mit Blick auf die veränderte Sprache in dieser Gesellschaft und auf die Gefahren für die Demokratie. Wir brauchen eine Renaissance der historisch-politischen Bildung. Wir brauchen ein stärkeres Bewusstmachen dessen, was Demokratie auszeichnet. Dabei kann es nicht nur um Verfahrensfragen gehen.

(Beifall des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU])

Wir brauchen wieder eine Wertedebatte in Deutschland, damit wir einer freiheitlichen, einer solidarischen Gesellschaft näherkommen.

(Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal darauf verweisen, dass das eine die Klausel ist. Das andere ist das Thema der tatsächlichen politischen Arbeit, insbesondere mit jungen Menschen. Ich zitiere den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, der mit Blick auf die Ziele der politischen Bildungsarbeit deutlich formuliert hat: Ziel der politischen Bildungsarbeit ist es daher, für „die Demokratie zu werben“ und zu politischer Partizipation und Gestaltung zu ermutigen.

Deswegen wird es unsere Aufgabe sein, noch mehr als in der Vergangenheit den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und die politische Bildung auszubauen, damit das überflüssig wird, was wir momentan erleben, nämlich eine der Sache nicht gerecht werdende Debatte. Deswegen: Bei allem Verständnis für Ihren Antrag: Wir werden ihn nicht mittragen. Wir werden das gemeinsam lösen; denn wir sind die Träger eines demokratischen Bewusstseins.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Susann Rüthrich [SPD])

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