Rede zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen habe ich von diesem Pult aus für eine Lösung bei diesem schwierigen Thema, das Humanität und Verantwortung verbindet, geworben, für eine Lösung, die befriedet und mit der man das Thema nicht erneut lange vor sich herschiebt, sondern zu einem Ergebnis kommt.

Das Ergebnis, das wir jetzt haben, ist einfach zusammenzufassen: Die Aussetzung des Familiennachzugs wird bis zum 31. Juli dieses Jahres verlängert. Ab dem 1. August dieses Jahres gibt es dann keinen Anspruch mehr auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte. Stattdessen eröffnen wir im Rahmen eines Kontingents für 1 000 Personen pro Monat die Möglichkeit der Familienzusammenführung. Die bestehenden Härtefallregelungen bleiben bestehen und werden nicht auf das Kontingent angerechnet. Das Nähere – nicht zum Ob, aber zum Wie – regeln wir in einem Folgegesetz, das wir auch bis Ende Juli fertig haben wollen. – Das ist das Ergebnis.

Die meisten Praktiker begrüßen das Ergebnis. Manche Idealisten halten die Regelung für zu streng. Ja, wir haben einen Kompromiss gemacht.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Völkerrecht! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Menschen!)

Für uns war wichtig, dass es nicht wieder zu einem Anspruch auf Familiennachzug kommt; für die SPD war wichtig, dass es überhaupt wieder Familiennachzug gibt. Ja, das ist ein Kompromiss. Gestern habe ich in einem Lexikon – in diesem Fall Wikipedia – nachgeguckt: Was ist eigentlich das Wesen eines Kompromisses?

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Dr. Alice Weidel [AfD]: „Wikipedia“, das ist gut! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht zitierfähig!)

Das klingt so, als wäre es für uns geschrieben. Ich zitiere:

Ein Kompromiss ist die Lösung eines Konfliktes durch gegenseitige freiwillige Übereinkunft, unter beiderseitigem Verzicht auf Teile der jeweils gestellten Forderungen. Es wird von den Verhandlungspartnern ausgehend von den eigenen Positionen eine neue ...position gebildet und diese erzielte Einigung als gemeinsames Ergebnis dargestellt.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier geht es nicht um Koalitionsverhandlungen! Hier geht es um Familien, Herr de Maizière!)

Der Kompromiss ist die vernünftige Art des Interessenausgleichs ... Er lebt von der Achtung der gegnerischen Positionen und gehört zum Wesen der Demokratie.

Das ist ein Kompromiss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun ist dieser Kompromiss unterschiedlich bewertet worden, und es ist wiederum kritisiert worden, dass er unterschiedlich bewertet worden ist – ehrlich gesagt, sicher zum Teil zu Recht. Aber auch das ist ganz normal. Ich kenne keinen Tarifkonflikt, bei dem nicht am Ende jede Seite das Ergebnis unterschiedlich bewertet.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier geht es nicht um Geld, hier geht es um Menschen! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier geht es nicht um Tarifverhandlungen!)

Jeder will zeigen, dass er gut verhandelt hat; das ist okay, und das ist normal. Wir finden, dass die Union gut verhandelt hat. Die SPD findet – oder sollte auch sagen –, dass auch sie gut verhandelt hat. Das ist das Wesen eines Kompromisses.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch nicht um Koalitionsverhandlungen!)

Nur, das Entscheidende ist: Wir müssen zum Inhalt des Kompromisses stehen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für eine Rede? – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie haben noch keine Koalition!)

Aus dem Lateinischen übersetzt heißt „Kompromiss“, dass man sich gegenseitig etwas verspricht. Das heißt, der Kompromiss gilt.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie haben noch gar keine Koalition!)

– Wir haben noch keine Koalition, Frau Haßelmann. Aber die CDU/CSU-Fraktion und die SPD-Fraktion haben einen Kompromiss geschlossen, und den vertrete und erläutere ich hier.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Als Regierung?)

Nun zu ein paar Kritikpunkten. Die FDP bzw. Herr Lindner hat gesagt: Warum 1 000? Die Zahl 1 000 ist doch willkürlich. – Dazu sage ich Ihnen Folgendes:

Erstens. Das Kontingent ist dem Resettlement nachgebildet. Da setzt man immer politisch eine Zahl fest. Wenn es um ein Einwanderungsgesetz geht, lieben Sie ja Kanada. Kanada legt per Beschluss durch das Parlament eine Zahl fest.

Zweitens. Die Zahl 1 000 ersetzt die bisher aus Italien und Griechenland kommenden Relocation-Fälle.

Drittens. Wenn man von einer Bearbeitungskapazität des Auswärtigen Amtes von insgesamt 40 000 bis 50 000 Fällen ausgeht und die Zahl der subsidiär Schutzberechtigen dazu ins Verhältnis setzt, dann ist die Zahl 12 000 genau angemessen.

Die nächste Kritik von einigen war: Warum sind denn die Härtefälle nicht Teil des Kontingents? Nun, dazu will ich sagen: Wir brauchen natürlich für die 1 000 Personen pro Monat Kriterien. Die werden wir besprechen. Aber dass es immer Härtefälle gibt, die sich einer Kriterienbeschreibung im Vorhinein entziehen, ist einfach Teil der Realität.

(Andrea Nahles [SPD]: Richtig! – Wolfgang Kubicki [FDP]: Das sind doch auch Tausende, oder?)

Ein bisschen Großzügigkeit oder – unter Christenmenschen sage ich es einmal so – ein bisschen Barmherzigkeit braucht man hier leider auch.

(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Jan Korte [DIE LINKE]: Ich lach mich tot! – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das ist Barmherzigkeit gegenüber sich selbst, weil Sie nicht wissen, was Sie wollen!)

Nun zu den Zahlen. Die einen haben gesagt, die Zahlen sind zu niedrig, und die anderen haben gesagt, die Zahlen sind zu hoch. Auch dazu will ich etwas sagen. Denjenigen, die Hunderttausende befürchten, sage ich: Mit dem Kontingent gibt es eine Grenze, und die wird nicht überschritten.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer legt die fest?)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr de Maizière, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:

Gerne.

Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Minister, vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Wir reden in diesem Kontext viel über Härtefälle. Deshalb möchte ich Sie gerne mit einem Einzelfall konfrontieren, den ich kurz schildern muss.

(Zurufe von der AfD: Oh, interessant! Und so repräsentativ! – Aha, wieder mal ein Einzelfall!)

– Ja. Das ist hier der politische Anspruch, oder? Wir wollen eine Lösung für die Menschen finden, und wir reden über Härtefälle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Deshalb möchte ich Sie gerne mit einem Einzelfall konfrontieren, um einmal darzulegen, welche Probleme bestehen.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Aber es ist eine Zwischenfrage, Frau Kollegin.

Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es ist eine Zwischenfrage. Ich muss den Fall allerdings darstellen,

(Zurufe von der AfD: Nein! – Das müssen Sie nicht!)

damit ich die Frage formulieren kann.

(Widerspruch bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es geht um eine Familie in Husum.

(Zuruf von der AfD: Frage!)

Ein Vater mit minderjähriger Tochter – –

(Zuruf von der AfD: Frage!)

– Darf ich den Sachverhalt darstellen, Herr Minister?

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin, Zwischenfragen müssen Zwischenfragen sein und keine Redebeiträge.

(Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)

Stellen Sie bitte in einer begrenzten Zeit eine Frage.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es geht um einen Einzelfall aus Husum. Ein Vater mit seiner minderjährigen Tochter hat Asyl beantragt, subsidiären Schutz bekommen und den Nachzug seiner Familie beantragt. Es geht um seine Ehefrau

(Jürgen Braun [AfD]: Seine zweite Ehefrau? – Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ekelhaft! – Gegenruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]: „Ekelhaft“? Das war doch nur eine Frage! Was kann denn daran ekelhaft sein?)

und zwei minderjährige Töchter sowie zwei volljährige Söhne. Einer davon ist gerade 18 geworden und ist schwerstbehindert. Er braucht den ganzen Tag Betreuung, da er querschnittsgelähmt und Asthmatiker ist und regelmäßig Krampfanfälle hat.

(Jürgen Braun [AfD]: Frage!)

Die Mutter bekommt für ihre zwei minderjährigen Töchter ein Visum zum Nachzug, die beiden gerade volljährig gewordenen Söhne, darunter der schwerstbehinderte, nicht.

(Zurufe von der AfD: Frage!)

Ich schließe jetzt meine Frage an.

(Beifall bei der AfD)

Ich habe mich für diesen Fall eingesetzt und vor dem Auswärtigen Amt eine Härtefallregelung geltend machen wollen. Das Auswärtige Amt hat mir geantwortet: Es ist menschlich nachvollziehbar, dass auch die bereits volljährigen Söhne, insbesondere der schwerbehinderte Sohn, gemeinsam mit ihren Familien nach Deutschland einreisen wollen. Dies genügt aber nicht für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte.

Ich frage Sie also, Herr Minister: Würden Sie persönlich sagen, dass es sich bei dem hier dargestellten Fall um einen Härtefall handelt? Bezug nehmend auf das parlamentarische Verfahren – durch die Härtefallregelung, über die wir sprechen, wurden im letzten Jahr 97 Menschen begünstigt; sie ist also ziemlich ins Leere gelaufen –: Was werden Sie persönlich dafür tun, dass ab August eine Härtefallregelung greift, die Menschen dann auch tatsächlich hilft?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:

Frau Abgeordnete Amtsberg, es ist mir überhaupt nicht möglich, anhand Ihrer Sachverhaltsschilderung zu beurteilen, ob das ein Härtefall ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Der Außenminister sitzt hier im Saal und hat zugehört. Wir hatten in den letzten zwei Jahren 1 300 Anträge auf Anerkennung eines Härtefalles; rund 200 sind bewilligt worden. Es muss natürlich eine Auswahlentscheidung geben. Ich glaube, diese Entscheidungen sind im Auswärtigen Amt in guten Händen und werden auch weiterhin verantwortungsvoll und menschlich getroffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich hatte in Richtung derer, die sagen, es könnten Hunderttausende kommen, gesagt, diese Befürchtung brauche man nicht mehr zu haben; durch das Kontingent wird die Zahl begrenzt. Denjenigen, die sagen, es sind sowieso nur 50 000 bis 60 000, sage ich: Dann ist es aber auch nicht so schlimm, dass man drei bis vier Jahre wartet,

(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

in Anbetracht der Tatsache, dass die meisten europäischen Länder ohnehin Wartefristen von drei bis fünf Jahren haben.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Sehr christlich!)

Meine Damen und Herren, am Ende einer harten Debatte muss ein Ergebnis stehen, wenn es um Menschen geht. Unser Ergebnis, unser Kompromiss steht für Humanität und Verantwortung,

(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

für Integration und Begrenzung, für Großzügigkeit und Realismus. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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