Rede zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir führen heute eine offenkundig sehr intensive Debatte über ein sehr streitiges Thema, den Familiennachzug. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wir, die CDU/CSU-Fraktion – die SPD-Fraktion stimmt zu –, im Deutschen Bundestag mit dem vorliegenden Gesetzentwurf heute eine sehr tragfähige, verantwortungsbewusste und sachgerechte Vereinbarung zur Abstimmung stellen. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass dieser Gesetzentwurf die Chance zur Befriedung in sich trägt.

Aus meiner Sicht sind drei zentrale Punkte zu erwähnen:

Erstens. Wir setzen das Regelwerk zur Migration, auf das sich CDU und CSU verständigt haben, um und schaffen den individuellen Rechtsanspruch von 280 000 eingeschränkt schutzbedürftigen Personen auf Familiennachzug ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das muss man leider so sagen!)

Zweitens. Wir schaffen ab dem 1. August 2018 ein Kontingent für monatlich maximal 1 000 Personen, sodass im Rahmen einer Härtefallregelung aus rein humanitären Gründen Familienangehörige, die einen schweren Schicksalsschlag erlitten haben oder schwerstkrank sind, die Chance haben, nach Deutschland zu kommen.

Drittens. Wir als CDU/CSU halten Wort und erhöhen auch mit dieser Regelung die Nettozuwanderung nach Deutschland nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zum ersten Punkt möchte ich erläuternd Folgendes feststellen: Manche meinen, es gab schon immer den Familiennachzug für eingeschränkt schutzbedürftige Personen. Dem ist nicht so. Bis August 2015 war der Familiennachzug für eingeschränkt schutzbedürftige Personen ausgeschlossen. Nur in dem sehr kurzen Zeitraum zwischen August 2015 und dem 16. März 2016 gab es den Familiennachzug für eingeschränkt schutzbedürftige Personen.

Ich möchte einem weiteren Eindruck in aller Deutlichkeit entgegentreten, weil das immer wieder insinuiert wird, und sagen: Wir bewegen uns mit dieser Regelung, die wir heute zur Abstimmung stellen, vollkommen auf dem Boden des Völkerrechts und auf dem Boden des Europarechts.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Mayer, die Frau Kollegin Roth möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):

Selbstverständlich, sehr gerne.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Mayer. – Es gibt hier immer wieder interessengeleitete Behauptungen dazu, was im Rahmen der Jamaika-Verhandlungen tatsächlich sondiert worden ist oder auch nicht. Herr Dobrindt sagt zu Recht, dass er und die CSU sich mit ihren Positionen durchgesetzt haben. Herr Lischka hat diese Behauptung aufgegriffen und gesagt, unter den Jamaika-Sondierern sei eine einjährige Aussetzung verabredet gewesen. Herr Mayer, stimmen Sie mit mir darin überein, dass der Wahrheitsgehalt dieser Aussage gleich null ist? Weder die FDP hat einem solchen Vorschlag zugestimmt – dabei hatte sie eine andere Perspektive als wir –, geschweige denn wir Grüne.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das stimmt nicht!)

Wir haben immer klargemacht: Wir werden so etwas wie das, was Sie heute beschließen, auf keinen Fall mittragen; mit uns wird es keine Aussetzung geben; mit uns wird es erst recht keine Abschaffung der Familienzusammenführung geben. Immer wieder haben CSU-Kollegen wie der Kollege Müller oder der Kollege Scheuer behauptet, wir hätten – –

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Diese Zwischenfrage stellen Sie nur, um die Grünen besser dastehen zu lassen! Das liegt doch alles zwei Monate zurück! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Zwischenfrage!)

– Lesen Sie einfach einmal die Geschäftsordnung. Darin steht, dass man auch Bemerkungen machen kann, ob Ihnen das passt oder nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte Sie, Herr Mayer, bitten, klarzustellen, weil Sie ja ein wahrheitstreuer Mensch sind, dass es einen großen Unterschied zwischen Ihrer und unserer Auffassung zu Familienzusammenführung, Völkerrecht, Grundrechte und Menschenrechte gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Mayer.

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):

Liebe Frau Kollegin Roth, zunächst einmal vielen herzlichen Dank für die Frage und vielen herzlichen Dank für die Vorschusslorbeeren, dass ich ein wahrheitstreuer Mensch sei.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon gehe ich aus!)

Ich möchte Ihnen aber deutlich entgegnen: Ich kann dem Anspruch, Ihnen eine zufriedenstellende Antwort zu geben, beim besten Willen nicht gerecht werden, schlichtweg weil ich in der Runde, die letzten Endes das Thema Migration verhandelt hat, und auch in der Schlussrunde, die über das Gesamtwerk verhandelt hat, nicht dabei war.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Frau Roth auch nicht!)

Um hier keine falsche Aussage zu treffen: Es ist doch vollkommen klar – das ist kein Geheimnis –, dass das Thema Migration, so wie es bei den Jamaika-Verhandlungen der Fall war, auch in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD eines der umstrittensten, wenn nicht das umstrittenste Thema ist. Natürlich hat jede Partei versucht, wie heute schon vom Bundesinnenminister klargemacht wurde, aufeinander zuzugehen und letzten Endes einen Kompromiss zu schließen. Es hat sich dort möglicherweise schon abgezeichnet, dass man, ähnlich wie bei der jetzt geplanten Regelung, eine weitere temporäre Aussetzung vornimmt. Wie diese dann genau und konkret ausgesehen hätte, entzieht sich beim besten Willen meiner Kenntnis. Aber ich lege wirklich Wert auf die Feststellung, dass es mit der Regelung, die wir heute zur Abstimmung stellen, gelungen ist, den Familiennachzug für eingeschränkt schutzbedürftige Personen endgültig abzuschaffen. Das ist aus meiner Sicht ein erheblicher Fortschritt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Mayer, Ihre Wahrheitsliebe wird weiter in Anspruch genommen. Der Kollege Sichert möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):

Selbstverständlich, sehr gerne.

Martin Sichert (AfD):

Sie haben vorhin behauptet, die Nettozuwanderung würde sich nicht erhöhen. Wie können Sie das hier allen Ernstes vertreten, wenn Sie weiterhin für offene Grenzen einstehen, über die jeder in dieses Land kommen kann?

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):

Auch auf diese Frage, Herr Kollege, eine klare Antwort: Es ist für mich ein wichtiger Aspekt, dass die Nettozuwanderung durch die geplante Kontingentlösung nicht erhöht wird. Es wurde heute schon darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung Deutschlands gegenüber Italien und Griechenland, die auf der Relocation-Vereinbarung basiert, monatlich 500 anerkannte Flüchtlinge zu übernehmen, ausgelaufen ist. Aus diesen beiden Ländern, Italien und Griechenland, kommen nunmehr pro Monat 1 000 Flüchtlinge weniger nach Deutschland, sodass, selbst wenn das monatliche Maximalkontingent, das es ab 1. August dieses Jahres im Hinblick auf den Familiennachzug für eingeschränkt schutzbedürftige Personen gibt, ausgeschöpft würde, die Nettozuwanderung nach Deutschland insgesamt nicht zunehmen würde.

Dieser Punkt steht dem entgegen, was heute immer wieder stereotyp behauptet wurde: dass die Festlegung eines Kontingents von 1 000 Personen willkürlich und nicht erklärbar sei. Das Kontingent von 1 000 Personen ist erklärbar, und zwar dergestalt, dass die Verpflichtung Deutschlands gegenüber Italien und Griechenland, monatlich 500 Personen zu übernehmen, ausgelaufen ist.

Um als Antwort auf Ihre Frage noch eines zu ergänzen: Selbstverständlich bewegt sich auch der Familiennachzug bei subsidiär schutzberechtigten Personen im Gesamtrahmen zwischen 180 000 und 220 000 Personen im Jahr; darauf haben wir uns mit der SPD verständigt. Deswegen kann man mit Fug und Recht und mit voller Überzeugung behaupten, dass durch die Neuregelung, die wir heute zur Abstimmung stellen, die Nettozuwanderung nach Deutschland nicht erhöht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zum zweiten Punkt. Wir treffen eine Härtefallregelung, die insbesondere in humanitär schwerwiegenden Fällen den Familiennachzug – im Einzelfall wohlgemerkt – auf Basis einer reinen Ermessensentscheidung ermöglicht. Wir werden nach diesem Gesetz natürlich ein weiteres Gesetz erarbeiten, in dem wir die konkreten Kriterien bzw. Parameter festlegen, nach denen dann bemessen wird, wie sich das Maximalkontingent von 1 000 Personen im Monat zusammensetzt.

Bei der Erarbeitung dieses weiteren Bundesgesetzes wird uns natürlich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD eine klare Richtschnur sein. Dabei wird es darum gehen, vor allem die Personen zu privilegieren, die keine Gefährder sind und sich auch keine schwerwiegenden Straftaten haben zu Schulden kommen lassen. Es darf sich nur um Ehen handeln, die vor der Flucht geschlossen wurden, und es darf sich nur um Personen handeln, deren Ausreise nicht kurzfristig zu erwarten ist. Auch dieser Punkt ist wichtig, weil heute immer wieder die Bedeutung der Familie angesprochen und strapaziert wurde. Es geht bei dem Kreis der eingeschränkt schutzbedürftigen Personen nicht um Menschen, bei denen angedacht ist, dass sie sich dauerhaft in unsere Gesellschaft integrieren. Es handelt sich um Personen, die einen Fluchtgrund haben. Wir haben die klare Erwartung, dass sie Deutschland dann, wenn dieser Fluchtgrund wegfällt, wieder verlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht also nicht darum, diese Personen dauerhaft in die deutsche Gesellschaft und in unseren Arbeitsmarkt, in unsere Berufswelt zu integrieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein klares Wort dazu, man könne, wie immer wieder auch von der SPD behauptet wird, an der Härtefallregelung noch einmal schrauben und drehen und könne sie öffnen. Auch hier gilt der Grundsatz: Man hat sich an geschlossene Verträge zu halten. An der Härtefallregelung und insbesondere an § 22 Aufenthaltsgesetz wird unsererseits nicht gerüttelt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, 97 pro Jahr?)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich hatte schon erwähnt, dass sich die Nettozuwanderung nach Deutschland durch diese Regelung nicht erhöht. In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend die Situation in den Kommunen ansprechen. Wir haben in der Anhörung am vergangenen Montag deutlich ins Stammbuch geschrieben bekommen: Was die Aufnahme von Migranten angeht, sind die Kommunen in Deutschland, sind unsere Städte und Gemeinden teilweise an der Belastungsgrenze. Das gilt auch für unsere Schulen und Bildungseinrichtungen. Ich sage es ausdrücklich: Es würde zu einer Überforderung des Wohnungs- und des Arbeitsmarktes in Deutschland führen, wenn wir eine ungezügelte Familienzusammenführung bei subsidiär schutzberechtigten Personen zulassen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir ermöglichen mit der Regelung, die wir heute verabschieden – auch das ist ein wichtiger Punkt –, Planungssicherheit, und zwar insbesondere für die Landkreise, für die Städte und die Gemeinden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit diesem Gesetzentwurf eine gute Lösung präsentieren. Mit diesem Gesetzentwurf werden wir einerseits unserem christlichen Anspruch auf Humanität gerecht, setzen aber auf der anderen Seite unseren klaren Kurs der Steuerung, der Begrenzung und der Reduzierung der Zuwanderung fort.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

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